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Licht wird heute aufstrahlen über uns

Vor drei Jahren besuchten die Teilnehmer des Stuttgarter Hochschul-Seminars »“Ich glaube, es wirkt schon“ – Musikpsychologie im Alltag« ein Konzert der Internationalen Bachakademie. Bewaffnet mit allerlei musikwissenschaftlichem Gerät, von Zettel und Stift für Publikumsbefragungen, von Stoppuhren bis zu einem EKG-Messgerät, das der Tenor Daniel Behle sich an diesem Abend anlegen ließ, und das während seines Auftritts seine Herzfrequenz aufzeichnete, waren sie auf der Jagd nach den Auswirkungen dieses ungewöhnlichen Konzerts, das mit einer Uraufführung begann und mit den drei ersten Kantaten des »Weihnachtsoratoriums« von Johann Sebastian Bach endete. Die Ergebnisse? Sie zeichneten ein komplexes Meinungs- und Wirkgeflecht von Erwartungen und Eindrücken. Über die immensen rein körperlichen Anforderungen an die Mitwirkenden hinaus blieb trotz sorgfältiger Protokollierung der Studenten ein schwarzes Erkenntnisloch, das alle Fragen an- und aufsaugte, und von dem kaum Antworten nach außen drangen. Allenfalls waren an seinen Rändern interessante Beobachtungen zu machen: über die Wichtigkeit musikalischer Vorbildung, über Erwartungshaltungen, emotionale Involviertheit und unerwartete Gänsehauterlebnisse.

Jörg Herchets Weihnachtskantate »Die Geburt in der Zeit«, die die Stuttgarter in Auftrag gegeben hatten und an jenem Abend uraufführten, war ein wunderbarer ‚Forschungsgegenstand‘; sie forderte das Publikum nicht nur, sie forderte es geradezu heraus. Manchen, die für den Bach gekommen waren, war das schon zu viel; anderen, hörerfahreneren, waren die „Versatzstücke aus gestriger Avantgarde und Text-Plattitüden“ noch viel zu zahm. Beglückend und faszinierend aber dürfte für alle Konzertbesucher gewesen sein, nach der Uraufführung das wohlbekannte und -geliebte Weihnachtsoratorium zu hören. Erst im Kontrast zu Herchets Werk schien die Musik nun so richtig aufzuglühen! Die durch Herchet geschärften Ohren hörten die wortwörtlich verinnerlichten Texte der Weihnachtsgeschichte mit einem Mal völlig neu. Wie ein Katalysator hatte die zeitgenössische Musik die Wirkmächtigkeit der Bachschen Musik potenziert: eine aufregende, geradezu berauschende Gesamterfahrung wurde das am Ende.

Die Singakademie Dresden hat nun mit ihrem diesjährigen „Adventsstern“ den umgekehrten Weg eingeschlagen: sie bringt Bach und Herchet chronologisch in Beziehung. Während am 11. Dezember die Kantaten 1–3 und 6 des Weihnachtsoratoriums von Bach in der Himmelfahrtskirche Dresden-Leuben erklangen, kommen nun heute, eine Woche später, in der Dresdner Christuskirche in einem Konzert gemeinsam mit der Meißner Kantorei 1961 die drei Weihnachtskantaten von Jörg Herchet zur Aufführung, die dritte davon als Uraufführung. Ihre Titel, »Die Geburt Christi in der Zeit« (Solo-Tenor, Sprecher, Chor und 18 Solo-Instrumente), »Die Geburt Christi im Herzen« (Solisten, zwei Chöre a cappella) und »Die ewige Geburt Christi«, und die Texte gehen auf Herchets langjährigen Mitstreiter Jörg Milbradt zurück; Milbradt bezieht die biblische Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium sowie Psalmworte ein.

Die dritte Kantate ist groß besetzt: vier Gesangssolisten, großer Chor, zwei kleine Chöre, zwei Knabenchöre, dazu ein großes Orchester und 9 Instrumentalsolisten. Hier darf Herchets Zwiesprache mit dem Bachschen Oratorium kulminieren; Aha-Effekte, Erweckungen, Erleuchtungen aller Art sind erlaubt. Für alle, die die Melodien von „Jauchzet frohlocket“ bis „Schlafe, mein Liebster“ im Herzen tragen, dürfte das ein spannender vierter Adventsnachmittag werden: ein Licht wird aufstrahlen über uns!

 

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