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Die letzte ihrer Art

Boris Gruhl, am kommenden Montag geht die große Gala der Tanzwoche über die Bühne. Schauen Sie mit uns erst einmal zurück und erzählen, wie das Format sich in den vergangenen Jahren entwickelte?

Foto: Robert Morgenstern

Die Geschichte dieser Gala ist verwickelt. In der Anfangszeit der Tanzwoche gab es sie zwei Mal im unsanierten Festspielhaus Hellerau. Dann ist das Format erst einmal eingeschlafen. Und für das Festival 2008 wurde mir angetragen, sie wiederzubeleben, das ist auch gelungen, der Zuspruch war groß, am Welttag des Tanzes, dem 29. April, im Schauspielhaus. Damals begann ich auch mit der Pressearbeit für die Tanzwoche, nachdem ich bei den ersten Tanzwochen, im zweiten und dritten Jahrgang, als Moderator mitgewirkt hatte, an die große Performance »Brikett &  Co«, in der Ruine des Erlweinspeichers erinnere ich mich noch sehr gut.
Die Gala habe ich dann als künstlerisches Format durchgehend, mit einer Pause 2011, da gab es nur ein Miniformat im projkettheater Dresden, betreut – neben einem weiteren Format, das mir sehr am Herzen lag, das es aber dieses Jahr schon nicht mehr gibt, nämlich dem Sonntagsbrunch mit Phase IV und dem Thalia Filmtheater. Zeitweilig haben wir auch zum Welttag des Tanzes einen Tanzbus von Dresden nach Leipzig fahren lassen mit 50 jungen Leuten, die hier in einem großen Programm im Leipziger Opernhaus tanzten.

Die Gala ist diesmal nicht der Schlusshöhepunkt der Tanzwoche, sondern liegt in der Mitte…

Ursprünglich bildete die Gala immer den Abschluss, eben am von der UNESCO initiierten Welttag des Tanzes. Dann wurde sie aus Werbegründen an den Anfang verlegt. Diesmal nun liegt sie in der Mitte, vor allem aus praktischen Gründen…

…und findet auch nicht mehr im Kleinen Haus, sondern in den Landesbühnen statt.

Das Kleine Haus, wo die Gala insgesamt vier mal stattfand, war natürlich ein guter Ort. Allerdings haben wir uns dort auch mit Hochschulproben überschnitten. Mit dem Rektor Prof. Klemm konnte man immer einen Tag freiboxen, aber das geht jetzt nicht mehr. 2012 waren wir auch mal im Festspielhaus Hellerau zu Gast. Aber: die Gala ist ja auch auf Anregung des Sächsischen Bühnenvereins zustande gekommen. Sie soll einen Querschnitt des sächsischen Tanzes zeigen. Welcher Ort wäre da besser als die Landesbühnen?

Diese Neuausrichtung ist zugleich Ihr persönlicher Abschied von der Tanzwoche.

Für mich ist die Gala ein schöner Abschluss nach zehn Jahren Arbeit für die Tanzwoche Dresden. Das geschah so nicht ganz in Folge, aber die Anfänge mitgerechnet, sind es schon zehn Jahre. Solange die Kraft noch reicht, möchte ich gern noch einmal etwas anderes anfangen. Ich habe tolle Leute bei der Tanzwoche kennengelernt. Der Stress gehört auch dazu und die Aufregung und manchmal die Angst, das Risiko… Aber 25 Jahre gibt es die Tanzwoche nun, da ist nun auch mal Zeit für einen Neubeginn.

Wird es denn das Gala-Format weiterhin geben? 

Dazu kann ich derzeit keine Aussage machen. Aber es wäre doch schade, denn nach meinem Wissen gibt es dieses Format, bei dem die Ballett- und Tanzszene mit ihren unterschiedlichen Facetten eines Bundeslandes so umfassend präsentiert wird anderswo bisher nicht.

Als Tanzkritiker haben Sie die Entwicklung der Kompanien im Freistaat eng verfolgt. Können Sie bestimmte Tendenzen erkennen?

Sachsen hat eine vergleichsweise große Anzahl professioneller festangestellter Tänzer. Wenn man Godani mitrechnet, sind es elf feste Kompanien im Freistaat! Das sorbische Nationalensemble hat ein eigenes Ballett, so etwas gibt es sonst nicht. Wir haben zwei Operetten- und Musicalhäuser, Staatsoperette in Dresden, Musikalische Komödie in Leipzig, mit eigenen Kompanien. Dann Görlitz, Plauen-Zwickau, Chemnitz – diese Vielfalt ist, wenn man sie etwa mit Thüringen oder Sachsen-Anhalt mit jeweils drei Kompanien vergleicht, beachtlich. Und dazu eine freie Szene, die vielleicht noch nicht vergleichbar ist mit Berlin oder Nordrhein-Westfalen, aber die jedenfalls nicht mehr wegzudenken ist aus Dresden und Leipzig! Und nicht zu vergessen, die Palucca Hochschule für Tanz in Dresden ist die einzige Hochschule dieser Art in Deutschland. Zur Gala wird sie mit einem tollen Solo des Studenten Felix Berning vertreten sein.

Rosario Guerra in Eric Gauthiers »Ballet 101« (Foto: Regina Brocke)

Im Allgemeinen ist meine Beobachtung bei meinen Reisen, dass das Interesse am Tanz an den Stadttheatern steigt. In Görlitz zum Beispiel hat die Kompanie ein treues, vor allem ein junges Publikum. Der Neustart in Plauen-Zwickau mit Annett Göhre war verheißungsvoll. Chemnitz hat sich mit Reiner Feistel inzwischen gefestigt. Selbst ein ästhetisch großer Wechsel wie der von Carlos Matos als Chefchoreograf der Tanzcompany der Landesbühnen hat nicht dazu geführt, dass ein schmerzhafter Publikumseinbruch gekommen wäre. Es hat Veränderungen gegeben, klar – aber durch familienfreundliche Programme wie »Momo« etc. bleibt der Tanz in Radebeul gut etabliert. Und dann hat man den Leuchtturm Dresden, das Semperoper Ballett mit seinem technisch hohen Niveau, allerdings auch mit einem guten Querschnitt der Klassik, Neoklassik und Moderne. Das ist schon irre. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass so anspruchsvolle Choreographien wie die von William Forsythe nirgendwo so gut getanzt werden wie hier. Und Leipzig, Mario Schröder! Auf der einen Seite ist er zu bestimmten Traditionen verpflichtet – Stichwort Uwe Scholz –, das könnten sie etwa bei einem so aufwändigen Stück wie »Rachmaninov« ohne die Studierenden der Staatlichen Ballettschule Berlin hier gar nicht schaffen, es sie sind ja nur noch 40 Tänzerinnen und Tänzer in Leipzig. Andererseits sehe ich hier grandiose Kreationen wie Mario Schröders »Lobgesang« oder sein Ballett »Othello«. In der neuen Saison wird es mit dem »Nussknacker« auch zum ersten Mal ein publikumsaffines Handlungsballett geben. Kurz, wenn die Qualität des Tanzes in Sachsen nicht so wäre, wie sie ist, würden die Staatliche Ballettschule Berlin oder die des Ballet Hamburg John Neumeier ihre Eleven wohl kaum zu ausgedehnten Praktika zu uns schicken. Aktuell zum Beispiel tanzen Studierende dieser Ausbildungsstätten in der gerade am letzten Freitag stürmisch gefeierten Premiere »Mozart – Briefe« von Rainer Feistel in Chemnitz.

Und das Schöne ist: die Kompanien sind untereinander nicht zu vergleichen. Jede hat ihren eigenen Stil gefunden. Für uns ist es eine Gelegenheit, an so einem Gala-Abend mit kurzen Ausschnitten all dies zu zeigen. Kulturpolitisch kann man ja nicht immer schreien, wenn etwas abgewickelt wird, wenn man nicht vorher gezeigt hat, was da ist, und was verloren gehen würde. Das gilt auch für die freie Szene, für die so ein Gala-Format zugegebenermaßen nicht einfach ist. Die Platzierung muss den Eingeladenen eben gerecht werden. Ein ‚work in progress‘ kann man nicht neben den klassischen Pas de deux stellen. Und dann die schöne Freiheit zu sagen: das sollte nun unbedingt mal in Dresden zu sehen sein wie zum Beispiel in diesem Jahr endlich Gauthier Dance! Ich war in Stuttgart zu einer Aufführung im Theaterhaus, ich sprach Eric Gauthier an und dann war es letztlich leichter als gedacht: ein freundliches Gespräch, zwei Telefonate, einige Mails, und wir waren uns einig. Das finde ich irre, dass sie direkt nach einem Luxembourg-Gastspiel in den Zug steigen und hierher kommen. Oder das Ballett aus Cottbus: Auch da die bescheidene Anfrage nach einem Solo oder Pas de deux, und die Antwort: wir kommen alle! Und natürlich keine Frage bei der Staatlichen Ballettschule Berlin, ich fahre hin, sehe mir eine Gala an, ein Gespräch mit dem Direktor Professor Stabel und elf Studierende kommen nach Dresden mit einer exzellenten Arbeit von Marco Goecke.

Gibt es einen unerwarteten, überraschenden Beitrag?

Ronny Hoffmann aus Leipzig. Der ist eigentlich gar kein Tänzer, sondern Handwerker. Er fiel auf in der euro-scene Leipzig letzen November. Er schaffte es im von Alain Platel begründeten Wettbewerb um das beste Deutsche Tanzsolo bis in die Endrunde. Fachleute haben mir gesagt: den musst du nehmen! Und da es dieses Jahr kein Kuratorium gibt, was strikt verbieten würde, dass „Amateure“ auf die Bühne dürfen, ist er dabei, gemeinsam Hansi Noack, dem Geiger, der ist doch ein Dresdner Kind. Kommt der nicht von Dekadance? Das guckt man sich auf DVD an, sagt: das muss noch drei Minuten kürzer werden, und fertig. Und auch Jacopo Godani hat sofort zugesagt mit Tänzern der Dresden Frankfurt Dance Company dabei zu sein. Ist es nicht toll, dass Aaron S. Watkin seine ersten Solisten Melissa Hamilton und Denis Veginy in der Gala tanzen lässt?
Und natürlich ist es erfreulich, wenn Mario Schröder bedauert, dass er wegen Premierenstress in diesem Jahr keinen Beitrag seines Balletts bringen kann, er es sich aber nicht nehmen lässt, mit seinem Produktionsmanager Remy Fichet und dem Solisten Nicolaus Tudorin als Zuschauer zu kommen.

Seltsam ist indes, dass die sächsische Szene außerhalb des Freistaats so wenig wahrgenommen wird. Vielleicht liegt das gerade an der großen Vielfalt?

Das weiß ich nicht. Sicher, die freie Szene ist nicht so holzhammermäßig revolutionär wie etwa in Berlin. Da ist viel mehr vorsichtiges Tasten, was nicht heißen soll, dass sie sich verstecken müsste. Und im Vergleich zu Nordrhein-Westfalen fehlt es definitiv an finanziellen Mitteln für die freie Szene. Es hat ja auch sehr, sehr lange gedauert, bis die gesamtdeutsche Berichterstattung die Qualität des Semperoper Balletts wahrgenommen hat. Und selbst Hellerau ist von der Wahrnehmung nicht auf dem Level, das das Haus verdient hätte. Bestes Bespiel: Der Herr Bundespräsident eröffnet das Tanzjahr Deutschland 2016, es geht um Berlin, Hamburg, Stuttgart oder München, keine Frage, da wird grandios getanzt. Aber eben in Dresden oder Leipzig auch!

Eine Art Ost-Malus?

Möglich. Aber das ist nicht so, wenn du mit den Tänzern oder Choreografen selbst sprichst! Ob in München oder Stuttgart, auch im Ausland: wenn ich dort zu Besuch bin, heißt es: grüß doch bitte den und den, die und die, aus Dresden; hast Du das oder das in Leipzig oder in da und dort gesehen, warst Du bei dem oder dem in Hellerau, was die dort machen, ist toll. „Ihr habt doch so eine tolle Szene, so tolle Tänzer, das höre ich oft“.
Aber die Gala machen wir ja auch für Leute, denen ich zutraue, mit kontroversen Ideen umgehen zu können. Es darf auch schon mal was danebengehen. Wenn man diesen Mut nicht hat, darf man kein Festival machen, dann muss man Möbel verkaufen.

Ist Ihnen in all den Jahren etwas missglückt, oder hätten Sie gern noch Gäste gehabt, deren Besuch sich dann doch nicht realisieren ließ?

Ich hätte auch gern mal so ein richtig scharfes Turniertanzpaar über die Bühne geschickt. Aber da wäre ich wohl rausgeflogen… Das Bundesjugendballett hätte ich gern in Dresden gehabt. Auch ein angedachter Beitrag vom Staatsballett Berlin hat sich leider nicht realisieren lassen. Andererseits: der Blick nach Osten war mir immer wichtig, da ich in den letzten Jahren dort tolle Choreographen kennengelernt habe. In Polen z.B. blüht der Tanz in der Provinz: Kielce, die Partnerstadt von Gotha, hat eines der progressivsten Tanztheater. Gdansk macht nach wie vor sich reden, dazu einige Newcomer aus anderen Städten, Robert Bondara vom Warschauer Nationalballett oder Jacek Przybyłowicz, von dem ich gerade Arbeiten in Poznań gesehen habe.

Vielleicht könnte die Tanzwoche ja in Zukunft solche Schwerpunkte setzen: Dresden auf der Grenze zwischen Ost und West…

Unbedingt! Wir hatten ja schon Tänzer aus Poznań hier. Im Programm der 25. Tanzwoche ist auch wieder eine Kompanie aus Prag dabei. Mit dem Chef des Balletts des Prager Nationaltheaters war ich schon im Gespräch wegen der Gala, aber da steht ein Wechsel an in der Leitung,  es dürfte sicher nicht aussichtslos sein, dann mit Filip Barankiewicz, der vom Stuttgarter Ballett kommt, zu reden. Aber auch eine tolle Kompanie wie die von Bridget Breiner aus Gelsenkirchen würde mir mal vorschweben. Sie hat übrigens zur Gala in Hellerau hier mit einem irren Solo von Marco Goecke gastiert. Nun muss man auch mal sagen: so, das hast du jetzt geschafft. Den Rest sollen ruhig deine Nachfolger und Nachfolgerinnen machen. Alles erledigen und abdecken kann man in dieser vielfältigen Tanzszene sowieso nicht. Aber ich werde wohl – solange wie möglich – nicht aufhören, mich für den Tanz zu engagieren. Für mich ist dieses Format der Darstellenden Künste in seinen ganz unterschiedlichen Formen und Traditionen das direkteste, das intensivste und in seiner schutzlosen Verletzlichkeit auch das authentischste.

GALA ZUR 25. TANZWOCHE
Montag, 25. April 2016, 19.30 Uhr
Landesbühnen Sachsen
Reservierung und Restkarten

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