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Das ist jetzt ganz ernst gemeint

Foto: Rolf Schoellkopf
Foto: Rolf Schoellkopf

Das Musikstudium war vorüber, das zweite Examenskonzert mit ambitionierten zeitgenössischen Werken für Violoncello geschafft. Nun stand Matthias Lorenz auf dem Gang vor dem Konzertsaal und wartete auf die Benotung durch die Professoren. Er wartete. Und wartete.
Zehn Jahre später erfuhr er von einer Cellistin, welche Diskussion sich damals hinter verschlossenen Türen abgespielt hatte. „Mit dem, was der kann, kriegt er nie eine Orchesterstelle“, hatte ein Kollege gegrummelt. Schließlich erinnerte jemand daran: „Das ist gar nicht die Frage. Wir müssen doch nur beurteilen, ob er gut Cello spielen kann.“

Ob er mit seinen musikalischen Vorlieben und stilistischen Vorstellungen vom Cellospiel eine Orchesterstelle bekommen würde? Das hat Matthias Lorenz nie ausprobiert. Schon vor Beginn seines Studiums, noch mitten im Zivildienst, wusste er: wenn du den klassischen Weg eines Musikstudiums gehst, bewegst du dich dein Berufsleben lang in einem Museum. Sein Pakt mit sich selbst hieß: du darfst Musik studieren. Aber du machst neue Musik! „Ich spielte vor“, erinnert sich der Cellist, „wurde aufgenommen – und landete in einem Trott von Bach-Suiten und Haydn-Konzerten. Verstehen Sie mich nicht falsch: auch Bachs Musik hat uns heute noch etwas zu sagen. Aber die Welt hat sich seit Bachs Zeiten geändert, und ich wollte in meinem Beruf etwas mit der Welt zu tun haben, in der ich lebe.“ Kaum im zweiten Semester, erinnerte sich Lorenz an sein Versprechen an sich selbst. Ging in eine Notenhandlung. Und kaufte einen Stapel zeitgenössischer Literatur. Sein Lehrer Gerhard Mantel unterstützte ihn. Trotzdem hatte Lorenz es fortan schwerer an der Hochschule. „Natürlich ist neue Musik an der Hochschule eine Nische. Wer sie gut findet, wird unter den Kommilitonen eher misstrauisch beäugt. Das Repertoire des Hochschulorchesters enthielt neue Musik in homöopathischen Dosen; man machte sich keine Freunde, wenn man die gut fand.“

Nach dem Studium spielte Lorenz bei zwei Ensembles zeitgenössischer Prägung, dem Ensemble Modern und der Musikfabrik, vor. Bei beiden wurde er nicht genommen. So wurde er freischaffend, spielt Soloprojekte, beantragt Stipendien und Zuschüsse für Auftragswerke. Hilft auch hier und da im Orchester aus. Die von ihm angelegte Online-Datenbank verzeichnet Solo-Werke für Violoncello von über vierhundert zeitgenössischen Komponisten. Viele davon hat er in den letzten Jahren uraufgeführt.

In einer neuen Konzertreihe im projekttheater, augenzwinkernd „Alte Meister“ betitelt, geht Lorenz nun zurück auf vier Meisterwerke, die die rasante Entwicklung dieses Repertoires in den letzten Jahrzehnten eigentlich erst angestoßen haben, und versucht dann, verschiedene Entwicklungslinien aufzuzeigen. Begonnen hatte der moderne Boom vor einem halben Jahrhundert mit Bernd Alois Zimmermann – und dem Cellisten Siegfried Palm, der Zimmermanns „Sonate für Cello solo“ 1960 uraufführte und in den Folgejahren Dutzende von Komponisten zu Auftragswerken anregte. „Von da an spielte das Cello als Soloinstrument wieder eine Rolle,“ sagt Lorenz; „die Leute verstanden erst mit Zimmermann und Palm richtig, dass das ein Instrument ist, für das man auch allein schreiben kann…“

In einem Prolog-Konzert hat Lorenz die Zimmermann-Sonate letztes Jahr vorgestellt, zusammen mit drei weiteren Altmeistern, nämlich Iannis Xenakis, Helmut Lachenmann und Isang Yun. Jedes der vier Werke steht nun in einzelnen Konzerten im Mittelpunkt und wird von Werken zeitgenössischer Komponisten begleitet, die ihrerseits mit dem Leitwerk in Verbindung zu bringen sind. Dieses Jahr sind das – unter dem Titel „Zeit“ zusammengefasst – der US-Amerikaner Braxton Sherouse, den Lorenz auf einem Festival in Ostrava kennenlernte, und der ihm 2013 von einem Werk berichtete, das sich gleichzeitig in vier Zeit-Ebenen abspielt: auf der langsamsten verlangt der Komponist, „jeden Ton etwas zu lange“ zu spielen. Und drittens der Dresdner Jörg Herchet, der im Rahmen seines langjährigen Kantatenprojekts mit Unterstützung der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen ein neues Stück für Matthias Lorenz geschrieben hat. Die „​kantate zum 2. ​s​onntag nach ​t​rinitatis“ hat Lorenz dem Komponisten letzte Woche zum ersten Mal vorgespielt, sich die letzten Anregungen und Kommentare geholt. Auf die Reaktionen nach der Uraufführung ist er gespannt und sieht sie als wichtige Zutat im Zusammenwirken von Komponist, Interpret und Publikum an. Wird die Kantate enthusiastisch begrüßt werden? Oder eher kopfschüttelnd? In seiner Stammkneipe spielte Matthias Lorenz einmal ein Konzert und wurde von einem, der sein Bier an der Theke trank, auf dem Weg in die Küche angehalten. „Sag mal, hast du das eben ernst gemeint?“ Lorenz fand und findet sie richtig und wichtig, diese Frage. Und hat seine Antwort darauf: ja, es ist ihm ernst mit der neuen Musik.
Das hört man.

24. September, 20 Uhr, projekttheater: „Alte Meister“. Matthias Lorenz, Violoncello. Kartentel. 0351 8107600​​. Homepage mit Infos u.a. zu den Werken: www.matlorenz.de​

Eine Textfassung des Artikels ist am 21. September in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.

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