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„Thielemanns Haus“ im Winterschlaf

Die Kinnlade klappt schon beim Lesen der Ankündigung dieses Jahresprogramms. Ein überregional ausstrahlender »Parsifal« im dreißig (!) Werke zählenden Repertoire, zum Strauss-Jubiläumsjahr auch die »Salome« in der Inszenierung eines der bekanntesten Regisseure des Landes. Und dann die Namensriege der Premieren der Saison: Christine Mielitz als Regisseurin des »Figaro« (Musikalische Leitung: Peter Schreier). Henzes Ballett »Undine« unter Michail Jurowski. Schließlich – und hier ist spätestens enthüllt, dass nicht das aktuelle Jahresprogramm gemeint sein kann: Wolfgang Wagner mit einer eigenen Inszenierung des »Fliegenden Holländers«. Was die Semperoper ihren Besuchern vor 25 Jahren programmatisch bot, erhob sie zu einem der ersten Häuser (wenn nicht dem ersten Haus) des kleinen Landes. Fast dreihundertvierzigtausend Gäste hatten das Haus 1987 besucht; der Intendant Gerd Schönfelder machte im Gespräch selbstbewusst klar, dass man den Anspruch habe, über die Landesgrenzen hinaus künstlerisch auszustrahlen (Quelle: Neues Deutschland, 11. Juli 1988, S.4).

Altgoldglänzend reitet die Sächsische Staatskapelle derzeit voran; die Opernsparte des Hauses gerät über dem Konzertangebot beinah ins Hintertreffen (Montage: Semperoper)

Ein Vierteljahrhundert später ist von diesem Anspruch des Dresdner Opernhauses kaum mehr ein Hauch geblieben. Nur noch selten singen internationale Kulturwanderer hier ihr Nachtlied; die Vögelein schweigen im Blätterwalde. Die Zahl der Besucher ist, verglichen mit 1987, um vierzehn Prozent gesunken; künstlerisch ist das Haus nach dem Tod von Ulrike Hessler in einen tiefen Winterschlaf gefallen. Wohl bietet der Spielplan der kommenden Saison mit Andreas Kriegenburg und Jan Philipp Gloger zwei klingende Regisseursnamen. Auch Christine Mielitz wird wieder in Dresden inszenieren. Das Jahresprogramm ist aber insgesamt kaum dazu angetan, international auszustrahlen. »Carmen«, »Elektra«, »Così«, »Simon Boccanegra« – naja, denkt man, und fühlt eine leichte Enttäuschung: ist das das Programm, das die Welt nach Elbflorenz locken kann? Für den mit Spannung erwarteten neuen »Parsifal«, der zu Ostern unter Thielemanns Leitung in Salzburg auf die Bühne kommt, ist im Dresdner Spielplan vorerst kein Platz. Die Koproduktion wird wohl erst 2014 oder 2015 nach Dresden finden. Und dann gilt auch für ihn die Politik des Hauses: Hauptrollen bitte aus dem Ensemble besetzen! Bühnengötter und Diven finden dieser Tage am ehesten zum Silvesterkonzert oder – im Falle etwa Vittorio Grigolos – zum kommerziell ausgeschlachteten Opernball ins Haus.

"Thielemanns Haus" (FAZ) im Winterschlaf (Foto: denkerhaus | photocase.de)

Eine offene Flanke bietet das derzeitige Leitungsteam den Spielplanverächtern nicht zuletzt bei der Liste der eingeladenen Dirigenten. Hätte "Thielemanns Haus" – so hat Eleonore Büning die intendanzlose Semperoper kürzlich bezeichnet – nicht das Potential, neben dem Chefdirigenten auch über interessante Gäste zu punkten? Bilden Sie sich Ihre Meinung selbst: die Premieren dirigieren – neben Thielemann – der Studienleiter der Oper Frankfurt, Felice Venanzoni; der neue GMD der Hallenser Oper, Josep Caballé-Domenech; Stefan Klingele, Mikhail Agrest, Omer Meir Wellber, Erik Nielsen und Paul Connelly. Mihkel Kütson, der neue GMD in Krefeld / Mönchengladbach, wird darüber hinaus die »Dresdner Operngala« dirigieren.

So verschiebt sich derzeit die Aufmerksamkeit des Publikums weg von dem ängstlich verwalteten Opernrepertoire, hin zu dem ambitionierten Konzertspielplan der Sächsischen Staatskapelle, die unter ihrem Chefdirigenten von Erfolg zu Erfolg eilt, umjubelte Gastspiele gibt und zu Ostern ihre neue Salzburger Residenz bezieht. Regisseur Stefan Herheim klagte kürzlich im Gespräch mit einer Dresdner Zeitung, grundsätzlich sei er dem Haus und seinen Mitarbeitern sehr verbunden, er sehe aber eben auch die Gefahr, dass die Oper in den Schatten der Staatskapelle gerät: "Seit Frau Hesslers Tod befindet sich die Semperoper im Umbruch und braucht eine neue künstlerische Führung." Die Findungskommission sollte sich nicht bis zum Jahresende Zeit lassen, dem auratischen Chefdirigenten einen neuen Intendanten an die Seite zu stellen.

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