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„Ich bin und bleibe Optimist“ – Kurt Masur zu Gast in Dresden

Nur wenige Dirigenten von Weltruf sind früheren Wirkungsstätten nachhaltig so eng verbunden wie Kurt Masur, der einstige Chef der Dresdner Philharmonie (1967 – 1972). In den vergangenen Jahren ist er auch als Ehrendirigent und trotz immenser Anfragen aus dem In- und Ausland regelmäßig Gast „seiner“ Philharmonie. Nach den Osterkonzerten mit Werken von Beethoven, Brahms und Schumann steht Masur nun erneut am Pult des Orchesters, diesmal in einem Sonderkonzert zu den Dresdner Musikfestspielen und mit einem, wie zu vermuten ist, von ihm selbst sehr favorisierten Programm. Michael Ernst sprach mit dem Dirigenten.

"Ich fühle mich, als ob ich erst vorgestern hier weggegangen wäre" (Foto: M. Ernst)

 

Maestro Masur, nicht alle Ehrendirigenten nehmen diesen Titel so ernst wie Sie dies bei der Dresdner Philharmonie und beim Gewandhausorchester Leipzig tun. Ist Ihnen der Ehrentitel auch eine Verpflichtung?

 

Kurt Masur: Das hat mit Verpflichtung nichts zu tun. Ich hatte eine Zeitlang das Gefühl, die Dresdner Philharmonie entwickle sich unter verschiedenen Dirigenten in eine etwas andere Richtung, dadurch war unsere Bindung zwischenzeitlich nicht ganz so groß. Jetzt ist sie aber wieder sehr eng geworden; ich fühle mich, als ob ich erst vorgestern hier weggegangen wäre. Der Geist dieses Orchesters ist wunderbar und die Zusammenarbeit macht sehr viel Freude.

Dazu kommt, dass mich mich dieses Orchester in meiner Jugendzeit als Dirigent am meisten gefördert hat. Ich werde nie vergessen, wie fair sich die Musiker verhalten haben, mir manche Hinweise gaben, aber auch bereit gewesen sind, Wege mitzugehen, die meinen Vorstellungen entsprachen. Das verbindet mich mit den Philharmonikern in besonderer Weise.

 

Dresden war eine Ihrer frühen Stationen. Danach waren Sie rekordverdächtige 27 Jahre Gewandhauskapellmeister in Leipzig und haben nach 1989 internationale Positionen etwa in New York, London und Paris innegehabt. Stimmt der Eindruck, dass Sie Dresden und Leipzig verbundener sind als den letztgenannten Metropolen?

 

Nein, das kann man so nicht sagen. New York ist ebenso eine Heimat für mich, bei den Orchester von Boston, San Francisco, Chicago fühle ich mich auch wie zu Hause. Es sind eigentlich viele Orchester, bei denen eine Vertrautheit besteht, die resultiert aus Grunderfahrungen der Vergangenheit. Da sind keine Launen. Ich bin heute in der glücklichen Lage, nur zu den Orchestern zu gehen, wo ich eine Harmonie spüre und wo uns der gemeinsame Musiziergeist trägt. Das ist zum Beispiel auch beim Israel Philharmonic der Fall, wo ich Ehrengastdirigent auf Lebenszeit bin, in Rio de Janeiro spüre ich einen enormen Willen und großes Talent, das ich nach Kräften unterstütze. Eine der schönsten Erfahrungen mit Beethovens 9. Sinfonie etwa hatte ich erst im vorigen Jahr mit dem NHK Orchester in Tokio.

 

Als Sie 2004 den „Saeculum“-Preis der Dresdner Musikfestspiele erhielten, mahnten Sie die „humane Botschaft der Musik“ an, ohne die Menschen keine Zukunft hätten. Wie nah oder wie fern sind wir diesem Ideal heute?

 

Ich glaube, in den sogenannten westlichen Ländern nicht mehr so nahe, wie wir früher mal waren. Da ist sicherlich Dresden mit seiner musikbewussten und stolzen Bürgerschaft eine gewisse Ausnahme, wie es sie auch in Leipzig gibt.

Was ich meinte und auch meine, das geschieht im Moment eher in Asien. Da ist eine Welle von Entdeckungsfreude und Wissensdurst, es gibt eine Besessenheit, Instrumente zu erlernen und europäische Musik verstehen zu wollen, die uns überfluten wird. Gut, wir sind nicht in einer Wettbewerbssituation. Manchmal gehen die Wellen nach Asien und kommen von da wieder zurück.

Ich versuche, das kühl zu betrachten: Was sollte man einem Vater raten, der einen Sohn hat und weiß, wie unsicher es ist, einen Musikerberuf zu ergreifen? Wer kein Star ist, wird da nicht reich. Und wer dann noch in einem Orchester spielt, das nicht wirklich gut ist, der wird wahrscheinlich nicht mal sehr glücklich.

Es gibt Tendenzen, die den Stellenwert von Musikern in manchen Gegenden Europas sehr herunterkommen lassen. Das beunruhigt mich sehr. Überall, wo ich die Initiative ergreifen kann, dem etwas entgegenzusetzen, da tue ich es.

In Leipzig haben wir zum Beispiel gemeinsam mit der Musikschule ein Projekt gestartet, bei dem jetzt etwa 6.000 Schulkinder singen lernen und dabei unterstützt werden. Einfach nur singen! Ich verspreche mir davon sehr viel. Nun müssen allerdings auch die Eltern und Pädagogen begreifen, wie viel für ein Kind das gemeinsame Singen mit anderen bedeuten kann.

Man liest das nicht nur bei den Thomanern oder Kruzianern ab, die zumeist sowieso einen Weg als Musiker oder Musikwissenschaftler einschlagen. Was da wächst, ist Bildung fürs Leben. Allein die Fähigkeit, sich zu konzentrieren, sich einzuordnen. Das sind ja auch Eigenschaften, die leider zu oft verloren gehen. Denken Sie nur an die Disziplin in Schulen. Ich denke, dass Musik als Erziehungsfaktor momentan sehr unterschätzt ist.

 

Sie hatten damals gesagt, mit dem Preisgeld junge Dirigenten zu fördern. Was ist daraus geworden?

 

Wir sind inzwischen sogar weitergegangen und haben viele solcher Projekte. Für mich ist wichtig, dass ich jetzt pro Jahr etwa drei- bis viermal Meisterkurse für Dirigenten mit Orchestern gebe. Solche Meisterklassen habe ich in Rio, in Paris und New York, aber auch in Polen. Es ist eine große Freude, da eine ganze Generation von Dirigenten zu erleben, die jetzt so um die 30 Jahre alt und mit enormem Talent herangewachsen sind.

Das muss allerdings auch den politisch Verantwortlichen klar gemacht werden, dass die kulturelle Erziehung eine Pflichtaufgabe ist.

 

Mit diesem Ethos haben Sie auch 2004 von sich reden gemacht – erfolgreich! –, als Dresdens Kommunalpolitiker die Musikfestspiele wegsparen wollten …

 

Ich wollte damit natürlich auch etwas erreichen, den ich bin wütend gewesen! Jemand wie ich, der in Leipzig studiert hat, als junger Dirigent nach Dresden kam und hier vom Publikum geradezu verwöhnt wurde, der kann das nicht hinnehmen. Ich bin mit durch das hiesige Publikum sowie die Philharmoniker, die mir sehr den Rücken gestärkt haben, gewachsen und zu dem geworden, der ich heute bin.

Windmühlenkämpfe halte ich nicht für sinnvoll, aber ich wehre mich manchmal schamlos. Dresden definiert sich doch durch die Künste und hat dadurch seine Ausstrahlung! Auch Leipzig hat seinen musischen Ruf, der dank Bach- und Mendelssohn-Festtagen bis heute in die Welt geht. Ich darf froh sein, dort mitgeholfen zu haben, dass die Stadt ein ehemaliges Bankgebäude erworben und für die Musikschule gerettet hat. So etwas sollte Modell werden.

Manchmal habe ich Angst, viele Menschen werden erst dann aufwachen und begreifen, was sie an Kunst und Kultur gehabt haben, wenn sich niemand mehr darum kümmert.

 

Wie viel Zeit verbringen Sie eigentlich in Leipzig?

 

Ach, als ich in Paris aufgehört habe, als Musikdirektor zu arbeiten, hatte ich gedacht, nun mehr Zeit zu haben. Aber seitdem reise ich noch mehr als vorher. Wobei es natürlich ein glücklicher Umstand ist, das in meinem Alter noch so zu tun und obendrein auswählen zu können, wo man was macht und mit welchem Orchester. In manchem Jahr bin ich mehr in Amerika als in Leipzig.

 

Im Sonderkonzert zu den Musikfestspielen werden Sie neben Schumann auch Ihre Lieblinge Schostakowitsch und Tschaikowski dirigieren. Wie wichtig ist Ihnen das slawische Repertoire?

 

Lieblinge würde ich nicht sagen. Die Auswahl meiner Werke prüfe ich danach, was ich glaube, wirklich zu können. Ein Beispiel: Ich bekam mal die Einladung, unbedingt Mahlers „Sinfonie der Tausend“ zu machen. Da habe ich mir eine Aufnahme meines Freundes Klaus Tennstedt angehört und sofort abgesagt, weil mir klar war, besser als der kann ich es nicht. Ich möchte Dinge hinzufügen, von denen ich das Gefühl habe, hier kann ich mich wirklich als Vertreter des Komponisten fühlen.

Schostakowitsch war für mich natürlich schon immer ein Wunder allein als Vorbild. Angefangen mit seiner 1. Sinfonie, der Eintrittskarte des 19-Jährigen am Konservatorium sozusagen, sind da schon sehr seltene Beispiele von Genialität. Ich hatte ja das Glück, ihm mehrfach begegnen und seine Arbeit wohl auch fördern zu können. Die „Babij-Jar“-Sinfonie, wegen der er in Drangsal geriet und deren Text-Übertragungen verboten wurden, die habe ich mit dem Dichter Jewtuschenko gemeinsam übersetzt und hier aufgeführt. Das wurde dann wirklich eins meiner Lieblingsstücke, weil es den Geist der Menschen im damaligen Russland in unglaublicher Weise widergespiegelt hat. Und wenn ich an unseren wahnsinnig erfolgreichen Schostakowitsch-Zyklus mit zwanzig Konzerten denke, verstehe ich Ihre Assoziation.

 

Nun bringen Sie sein 2. Klavierkonzert und Tschaikowskis „Manfred“-Ouvertüre nach Dresden …

 

Dieses Konzert hat Schostakowitsch ja für seinen Sohn Maxim geschrieben – und zwar in Erinnerung an die eigene Klavierpraxis. Viele wissen gar nicht, dass er sogar mal den Chopin-Preis bekam. Bei uns spielt es jetzt Helen Huang, eine junge Pianistin, die mit neun Jahren einen Instrumentalwettbewerb bei mir in New York gewann. Mit ihr habe ich Klavierkonzerte von Mozart aufgenommen und sie sogar auf eine Tournee mitgenommen, die ursprünglich mit Martha Argerich geplant war. Sie ist eine derart sensible Interpretin, dass sie aus der Mode der Klaviertiger heraussticht. Zerbrechlich wie Porzellan! Sie wird mit Sicherheit das Feingefühl der Dresdner Musikfreunde erreichen.

Tschaikowskis „Manfred“ ist für jeden ein Genuss, aber schwer zu dirigieren. Das beginnt so fantastisch, dass man sich als Dirigent fragt, was man mit dem etwas ausgebreiteten Finale macht, um die Leute nicht enttäuscht nach Hause gehen zu lassen. Ich neige nicht dazu, Striche zu machen, habe aber jetzt, wie ich hoffe, einen Weg gefunden, um Tschaikowski am nächsten zu kommen. Es ist große Musik, in manchen Dingen halt ein bisschen episch angelegt. Ein anderes Problem ist der literarische Hintergrund, von dem viele Menschen heute kaum noch was wissen.

 

Wer kennt noch Lord Byron?!

 

Eben! Aber ich glaube, wenn die Bildung der Menschen wieder etwas mehr und bewusster dahingeht, die Musik auch zu verstehen und sich nicht nur berieseln zu lassen, wird die Notwendigkeit, diese Stücke aufzuführen, wieder viel größer. Ich bin und bleibe da Optimist.

Termine: 29. und 30. Mai, jeweils 19.30 Uhr Kulturpalast

 

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