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„In dem Moment, in dem man denkt: Wow, was für ein Geiger, ist etwas schief gelaufen.“ John Holloway im Gespräch

John Holloway erhielt seinen ersten Geigenunterricht mit fünf Jahren. Später studierte er bei Yfrah Neaman an der Guildhall School, spielte internationale Wettbewerbe. Vor seinem Auftritt im Rahmen eines Benefizkonzerts zur Innensanierung der Dresdner Kreuzkirche am 25. April sprach Katharina Müller mit dem Hochschulprofessor.

Wie sind sie mit der Barockmusik in Berührung gekommen?

Ich probierte während meines Studiums vieles aus, auch Neue Musik, die mich im Laufe des Lebens zyklisch immer wieder begleitete. So kam ich eigentlich nur als Zuhörer zu einem Workshop mit Sigiswald Kuijken. Und es begann mein Weg nach Damaskus. Er vermittelte die Idee, dass Musik einen kulturellen, intellektuellen, geschichtlichen Hintergrund und Umwelt hat.

Es gibt vieles, was wir nicht wissen können, aber daneben gibt es eine gewisse Menge Sachen die wir doch wissen können, um eine Interpretation aufzubauen. Es war sein Umgang mit diesen Informationen, und sein Zugang zu den Schülern, der mich so beeindruckt hat, denn ich war bis dahin die traditionsbedingte, befehlsartige Unterrichtsweise gewohnt. Er hat mich gezwungen, wirklich zu denken.

Ihr Zugang zur Barockvioline war also eher inhaltlicher Art, mehr als der Wunsch, ein neues Instrument auszuprobieren?

Es war eigentlich beides. Sigiswald Kuijken hat einen wunderschönen Barockgeigenklang gehabt, das war für mich absolut revolutionär, und ich wollte unbedingt dieses Instrument probieren. Es war die Kombination aus diesem Klang und seiner Vorstellung von musikalischer Erziehung, die sich nicht nur auf das Instrument, sondern auf die Musik und den gesamten Menschen bezieht. Im Sinne von educare, musischer Erziehung.

Wie darf man sich die Alte-Musik-Bewegung in den siebziger Jahren vorstellen?

Meine Generation und die vorhergehende Generation in der Alte-Musik- Bewegung wurden gezwungen, vieles selbst herauszufinden. Weil es keine moderne Tradition der Aufführungspraxis gab, es war alles neu. Da war niemand in London, bei dem man studieren konnte. Was es gab, waren Kolleginnen und Kollegen, und wir nannten es „earn while you learn“, in meinem Fall, um hin und wieder eine Stunde bei Sigiswald Kuijken in Brüssel zu nehmen. Wir lernten voneinander, teilten unsere Erfahrungen. Ein Flötenkollege von mir ging zum Beispiel zu Kuijkens Bruder Wieland, einem Gambisten, und besprach mit ihm die Flötenschule von Quantz. Alles war eine schöne Entdeckungsreise.

Wie sehen Sie den Einfluss der Alten Musik Bewegung auf die Musiklandschaft heute?

Etwas, was die Alte Musik Bewegung hoffentlich provoziert hat, ist besonders die Auseinandersetzung mit dem Thema Artikulation. Ich wurde mit der geigerischen Idee von Cantabile mit Dauervibrato und nicht endendem Klang erzogen. Aber die Tatsache ist, dass Cantabile mit dem Singen zu tun hat. Vom Anfang ihrer Geschichte an, wurde die Geige als das dem Gesang ähnlichste Instrument gelobt. Und das Erste, was man beim Singen tun muss, ist atmen. Es entsteht eine Pause und damit Stille. Was nicht mit Spannungslosigkeit gleichzusetzen ist.

Brahms z.B. schreibt in seiner ersten Sinfonie für die hohen Streicher einen Bindebogen über mehrere Seiten. Das bedeutet: Klang. Aber es gibt eine Menge Stellen, an denen er Artikulationen schreibt, die einen Anfang und ein Ende haben. Wenn man es sprachlich denkt, dann ähnelt es Vokalen mit Konsonanten. Diese sprechende Art des Spielens ist leider im zwanzigsten Jahrhundert verloren gegangen. Und das ist etwas, was die durch die Alte Musik geprägten großen Künstler wieder mitgebracht haben.

Ist der Einfluss der Alten Musik auch schon in den Orchestern erkennbar?

Ob man nun Simon Rattles Erfahrungen mit dem „Orchestra of the age of enlightment“ sieht und Rückschlüsse auf seine Arbeit mit den Berliner Philharmonikern zieht, oder an den Stuttgartklang des SWR unter Roger Norringten denkt: Auf jeden Fall! Sicherlich kann man diskutieren, ob manches, vor allem das häufig absolut Vibrato – freie Spiel bei Norrington historisch tatsächlich vertretbar ist, aber es ist ein sehr spezifisches Klangkonzept, das aus seinem generellen Hintergrund der Alten Musik stammt. Was faszinierend ist, ist die Unkonventionalität dieses Orchesterklanges, und immer mehr Orchester sind bereit und fähig, auf diese Weise zu arbeiten.

Und ihr persönlicher musikalischer Weg?

Bach ist natürlich die Bergspitze für Barockgeiger. Es gibt nichts was sowohl geigentechnisch als auch intellektuell komplexer ist. Aber eine Musik die mir persönlich sehr nahe liegt sind die Rosenkranzsonaten von Biber; ich beschäftige mich damit seit 20 Jahren. Die Musik ist recht simpel, schön geschrieben in einer relativ kleinen Ausdruckswelt. Aber wegen der Scordatura hat man erstaunliche Farbänderungen in jeder Sonate. Es entstehen Harmonien, die normalerweise so auf der Geige nicht klingen könnten.

Die Konzentrationsanforderungen sind immens. Ich bin immer mehr davon überzeugt, dass, da die Umsetzung der Scordatura eine so hohe Konzentration vom Spieler verlangt, sich diese wie automatisch in der Ausdrucksweise zeigt. Diese kommt ganz stark beim Publikum an, wie es die aber wiederum erfährt ist eine ganz andere Sache. Wir tragen zwar viel Verantwortung, aber für die Reaktionen des Publikums sind wir nicht verantwortlich, denn wir wissen nicht, in welcher persönlichen Situation sich die Zuhörer gerade befinden.

Aufführungspraxis geht immer einher mit bestimmten Interpretationsideen…

Sobald man die Geige stimmt, fängt man an, zu interpretieren, wählt man den Klang. Man hat eine persönliche Verantwortung für jedes kleine Geräusch, das man auf der Geige macht. Genauso wie für Intonation, Klangfarbe, Phrasierungen, Vibratogebrauch und so fort.

Da stellt sich zwangsläufig die Frage: Wo fängt Interpretation an?

Das ist ein Rätselthema. Ich denke dass es bei vielen Werken für uns einen Erkennungsprozess geben soll. Zum Beispiel: wie viel Mozart – Oper kann man in seinen Violinkonzerten finden. Die Tatsache, dass Mozart mit seinem Kopf immer auf der Opernbühne war, ist diese Dramaturgie der verschiedenen Personen auch in den Konzerten zu finden. Eine wesentliche Frage ist: Was macht man mit der Wissenslücke. Ein Musikwissenschaftler sagt: Ich weiß das und das und das. Aber wir Musiker haben die Verantwortung für das, was wir spielen. Eigentlich ist es für den Zuhörer egal, was und wie viel wir wissen.

Die Musik spricht nicht für, sondern durch sich selbst?

Das kann man so sagen. Und vielleicht ist es auch genau die Musik, die mich persönlich am meisten fasziniert. Bachs Solo Sonaten und Partiten, Bibers Rosenkranzsonaten, Beethovens Violinkonzert, hier geht es für mich nicht um Violinspiel. Wenn das Publikum darauf aufmerksam wird, wie schwer eine Bachfuge ist, dann haben wir verloren. In dem Moment, in dem man denkt: Wow, was für ein Geiger, ist etwas schief gelaufen.

Spannend zum Beispiel mit Brahms Violinkonzert ist, dass er in gewissen Passagen Elemente verwendet, die doch extrovertiert, virtuos, sportiv sind. Das Geigerische darin ist ein Element der Musik. Es gibt eine Art von Virtuosität, die man nicht zeigen darf und eine andere, die Selbstzweck ist. Wenn es wirklich gut geschriebene Musik ist, sind solche Passagen wiederum musikalisch zu begründen. 

Wo und wie gibt es diese Art von Virtuosität in der Barockmusik?

Man findet sie bei Vivaldi, Tartini, auch bei Biber. Die weltlichen Sonaten Bibers sind hochvirtuos. Natürlich gibt es, wenn man daran denkt, dass ohne Schulterstütze und Kinnhalter gespielt wurde, gewisse technische Grenzen. Die Entwicklung dieser beiden Elemente wurde erst durch die veränderten Ansprüche notwendig, bzw. umgekehrt erlaubten die Neuentwicklungen andere Spieltechniken und damit eine andere Art der Virtuosität.

Vielen Dank für das Gespräch.

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