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Es lebe die Beliebigkeit – Verdis „La traviata“ als blasses Premierenereignis in der Semperoper

Da ist das wunderbare Vorspiel. Die so seltsam berührenden hohen Klänge der zweigeteilten Violinen. Sie mögen tiefe Sehnsucht, Verletzlichkeit, Intimität, Einsamkeit und Tod assoziieren. Wenn die für Verdi typischen Begleitfiguren hinzu kommen, dann als unheimliches Pochen, als so ahnungsvolle wie hoffnungslose Grundierung des darüber sich aufschwingenden Liebesmotivs.

Nichts von der ausgelassenen Stimmung des ersten Bildes im Pariser Salon der Violetta Valéry, dessen übermütige, verschwenderische Leichtigkeit in jähem Wechsel die gerade noch vernommenen ersterbenden Klänge verscheucht, wenn der Vorhang aufgeht. Das ist von Verdi so genial gedacht wie komponiert und erzählt weit mehr, eröffnet vor allem einen weiteren Raum der Fantasie und Emotionen als die knappe Idee des Regisseurs Andreas Homoki, schon zum Vorspiel die Bühne zu öffnen. Die zeigt sich als dunkles weites Grab, vor dessen Tiefe sich eine rote, gewellte Wand schiebt, die fortan als Hinter- oder Untergrund dient und deren schwarze Kehrseite Violettas und Alfredos Fluchtversuch ins Landhaus charakterisiert. Einen roten Sessel noch gestattet sich der Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann und ahnt nicht, wie schwer er es dem Regisseur machen wird, das Opernpersonal in dieser Leere von erschlagender Wucht zu bewegen.

Und auch die Kostümbildner Gideon Davey und Frauke Schernau ahnten wohl nicht, wie schnell sich die Wirkung ihrer Klischeekostüme aus bieder-kritischer und selbstgerechter Sicht auf Erscheinungsformen heutiger Medien- und Spaßgesellschaften erschöpft. Ein Blick, wir wissen Bescheid, es gibt ja kein Spiel, keine Reibung, keine Überraschungen, man trägt die geschmacklosen Klamotten, bewegt sich mehr oder weniger geschickt darin, das muss reichen. Passend zur Methode schleicht ein Chorsänger als Mooshammer verkleidet mit Hündchenatrappe nicht mal ansatzweise gespenstisch durch den Raum. Statisten in Unterhosen verbreiten die Erotik erkalteter Ofenrohre.

Die originale Geschichte von der Liebe eines jungen Mannes aus gutem Hause zu einer Frau mit Vergangenheit, die keine Zukunft haben kann, weil das nicht zu den Moralvorstellungen des Vaters passt, der erpresserisch das junge Glück zerstört und die ohnehin sterbenskranke Frau auf schnellstem Wege dem Tod in die erlösenden Arme treibt, wirkt in der Dresdner Inszenierung nicht mal ansatzweise glaubhaft. Rebecca Nelsen als Kurtisane nach Alexandre Dumas Roman „Die Kameliendame“ trägt schwer an der hohen Perücke, die sie zu einem faden Abbild von Amy Winehouse verurteilt. Ihre Versuche, dem Klischee eines so bekannten aber eben auch markanten Spielobjekts der Vergnügungssucht von heute gerecht zu werden, müssen zwangsläufig in der hohlen Geste enden. Am Ende erst, wenn sie den ganzen Plunder abgelegt hat, wenn sie mutterseelennackt auf dem roten Wellblech, wie ein frierendes Vögelchen einsam auf dem Dach verendet, dann hat sie auch zu einer anrührenden Art des Gesanges gefunden und lässt ahnen, was vielleicht einmal von ihr in der ganzen Partie zu vernehmen sein könnte.

 

Frierendes Vögelchen auf dem erkalteten Blechdach: Rebecca Nelsen (Foto: Matthias Creutziger)

Wookung Kim, der nette Alfred in Jeans und kariertem Hemd, stolpert in eine Gesellschaft, die er stört, allein weil er da ist. Hier wird nicht getrunken, hier wird gekokst und blinde Kuh gespielt.  Sollte einer wie er wagen, Spielregeln zu brechen, Gefühl übers Geschäft zu setzen, dann werden die Ellenbogen der Spaßgesellschafter eisern und die Methoden kriminell. Muss es denn aber gar so vordergründig sein? hat der Zuschauer gar kein Recht selber zu denken, Entdeckungen zu machen, sich durch den Subtext der Musik erschüttern zu lassen? Nein! Alfredos Vater Germont, Roberto Servile, rückt zwecks rigidem Umstimmungsversuch, der stimmlich gar nicht gelingt, auch gleich mit Ehefrau und Tochter an, um den Abtrünnigen gewaltsam ins kleine Geschäft nebenan zurück zu holen.

Es hat schon bei der Uraufführung, 1853 in Venedig, nicht geklappt, Verdis Oper als Gegenwartsstück zu geben. Der Regisseur verlegte die Handlung daher um 100 Jahre zurück, was zunächst auch nicht den großen Erfolg brachte, aber inzwischen zur bewährten Methode wurde, singende Menschen und ihre Möglichkeiten der Darstellung angemessen in Einklang zu bringen. Andreas Homoki bekam zur Premiere lautstarke Buhs für seine Aktualisierungsklischees, den Sängern, Wookyung Kim besonders, wurde zugejubelt, die treuen Ensemblekräfte, denen es verwehrt bleibt, Profile zu gewinnen, werden durch gewunken. Freundlicher Applaus für den Chor und seinen neuen Chef Pablo Assante, spürbare Zurückhaltung für Fabio Luisi und die Staatskapelle. Da blieb leider auch vieles hinter berechtigten Erwartungen zurück. Schon im Vorspiel verdirbt ein zu langer Findungsprozess den Eindruck, die Begleitunktion des Orchesters führt mitunter in fast völlige Zurücknahme. Der Dirigent hält das Geschehen oft nur beisammen, von dessen Verlauf nicht immer die gleichen Vorstellungen auf der Bühne und im Orchester zu herrschen scheinen.

Weitere Aufführungen: 6., 10., 13., 15. Oktober

Eine Textfassung des Artikels ist am 5. Oktober in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.

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