Website-Icon Musik in Dresden

DMF 2008: Mit allen Schikanen

Steffen Schleiermacher (Foto: PR)

Wenige Monate waren die Dresdner Musikfestspiele alt, da beschloss der Generaldirektor des Hygienemuseums, eine einst staatlich verordnete Utopie vernichten zu lassen. Das riesige, 60 Quadratmeter messende Wandbild “Lebensfreude” im Eingangsbereich des Museums,

die Diplomarbeit des jungen Malers Gerhard Richter, wurde einfach überstrichen. Um so vielschichtiger wirkte an diesem an Anspielungen überreichen “Tag der Utopien”, wie Hartmut Haenchen die weißen Wände des Museums mit akustischer Tapete behängte: Saties Kunst(Satire)werk “Vexations” (“Schikanen”) erlebte eine denkwürdige Aufführung in eben jenem Foyer. Fast exakt vierzehn Stunden lang erklangen “840 Wiederholungen für Klavier solo”, bevor der Intendant die Sektkorken knallen ließ, sich bei den beteiligten Pianisten und dem erheiterten Publikum herzlich bedankte und seine Utopien für den Moment glücklich ertränkte.

Wider die Willkür der Herrschenden

Hatte das Budget der diesjährigen Festspiele nicht für einen Kompositionsauftrag gereicht, so kam doch eine respektable Uraufführung zustande. Im Rahmen des Konzerts »Marsyas: Utopie DDR«, das Kompositionstechniken verschiedener “satyrischer” Tonschöpfer mit einem Frühwerk Ernst Hermann Meyers konfrontierte, erklang zum Schluss Steffen Schleiermachers »Marsyas« nach einem Text Franz Fühmanns. Tröpfelte die Geschichte, vom Bariton Holger Falk mit rollendem “r” deklamiert, anfangs etwas dahin, so wurde auf einmal klar: das waren Körperflüssigkeiten, die sich hier aus dem Klavier ergossen! Das Finale ergriff die ohnmächtigen Hörer, die’s schon im Halse würgte, und setzte sie schonungslos den sadistischen Quälereien des so gar nicht apollinischen Herrschers aus (überschaubares Publikum, aber stürmischer Beifall). Ähnliche musikalische Dichte und interpretatorische Qualität erreichte allenfalls das Konzert des Freien Ensembles Dresden, das unkaputtbaren Nachteulen zuletzt noch das “Quartett auf das Ende der Zeit” genial zu Ohren brachte.

Utopie der perfekten Interpretation

Ein absoluter Außenseiter durfte im Sammelsurium der politischen und geistigen Utopien nicht fehlen: der Amerikaner und Wahl-Mexikaner Conlon Nancarrow. Weil einige seiner früheren Werke als unaufführbar galten, verlegte sich der musikalische Eigenbrötler in den späten vierziger Jahren darauf, nur noch für selbstspielende pneumatische Klaviere zu komponieren. Von den ungeheuer aufwendig hergestellten fünfzig Kompositionen Nancarrows für das “Player Piano” stellte sein Freund und Adept Jürgen Hocker dem staunenden Publikum einige in Wort und Ton (nämlich an einem pneumatischen Bösendorfer-Flügel) vor.

Rentabelstes Festival Europas

Hartmut Haenchens bitter-ironisches Wort vom “rentabelsten Musikfestival Europas” hatte spätestens in den Nachmittagsstunden, da die Sonne unerbittlich durchs große Foyerfenster brannte, Mitarbeiter, Künstler und Besucher in hypnotischen Bann geschlagen. Beispielhaft sei hier eine Festivalmitarbeiterin erwähnt: Lisa Wiemer, die ihr freiwilliges kulturelles Jahr bei den Festspielen ableistet, übernahm am Morgen zwei Dutzend Durchgänge der “Vexations”, verteilte Programme, verkaufte Karten und moderierte hernach frisch und munter die Verleihung der Preise des Malwettbewerbs! Auch der Komponist und Pianist Steffen Schleiermacher war sich da nach seinem ungeheuer zehrenden Konzert nicht zu schade, ‘tres lent’ noch sein eigenes Scherflein zu den “Schikanen” beizutragen.

Doppelbegabung vielleicht, Genie nein

So stimmig die Idee schien, zur Preisverleihung des Malwettbewerbs sowohl die Bilder als auch die musikalischen Werke des Litauers Mikalojus Konstantinas Ciurlionis (1875-1911) vorzustellen, so enttäuscht war wohl mancher Zuhörer- und -schauer von beidem. Die Bilder des Malereistudenten wurden in Originalität und Ausdruckskraft von manchen der an diesem Abend ausgezeichneten Werke Dresdner Schüler übertroffen, und musikalisch überzeugten weder die matt-epigonal bis schulmeisterlich wirkenden Kammermusikstückchen noch ihre nüchtern-didaktische Interpretation durch das Ciurlionis Streichquartett.

Anders Winter

(Eine Textfassung des Artikels ist am 13.5.2008 in der Sächsischen Zeitung erschienen. Der Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.)

Die mobile Version verlassen