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Bis zum nächsten Aschermittwoch

Foto: Esra Rotthoff

Am Aschermittwoch ist alles vorbei, sagt der Volksmund. An der Staatsoperette Dresden ist das anders. Hier sagte am vergangenen Aschermittwoch die künftige Intendantin Kathrin Kondaurow, wie es weitergeht. Klare Ansagen für die Saison 2019/2020 unter ihrer Leitung. Es gibt fünf Premieren und einen Sommernachtsball, dazu als Gastspiele Shakespeares Komödie »Ein Sommernachtstraum« vom Deutschen Nationaltheater in Weimar und die Revue in 24 Bildern »Es liegt in der Luft« – als Spiel im Warenhaus von Marcellus Schiffer und Mischa Spoliansky in einer Inszenierung des Theaters Erfurt.

Große Opern gibt es nicht; vielleicht später mal, aber dann passend zum Profil dieses Theaters Heiteres aus dem leider von den großen Opernhäusern vernachlässigten Genre der Spieloper – und da gäbe es ja noch etliche, vergessene Schätze wiederzuentdecken.

Aber jetzt, wenn es los geht, gibt es erst einmal eine Revue: »Hier und jetzt und Himmelblau« als erste Premiere am 7. September. Regisseur Jan Neumann hat die Texte verfasst, die Musik stammt von Meistern des Genres, von Leo Fall bis Friedrich Hollaender. Aber weil dieses Auftragswerk der Staatsoperette uns als Zuschauer in die eigene, schillernde Realität entführen soll, macht es Sinn, dass auch Komponisten der Gegenwart dabei sein werden, von Sven Helbig bis Wincent Weiss.

Hatte Intendant Wolfgang Schaller die Staatsoperette ins Dresdner Zentrum geholt, so will seine Nachfolgerin den Broadway nach Dresden holen. Auf die Eröffnungsrevue folgt in einer Neuübersetzung des Regisseurs Martin G. Berger Stephen Sondheims »Follies«. In dieser Broadwayproduktion geht es, so der Untertitel, um »Glanz und Schatten der Revue«. Damit verbindet sich für Kathrin Kondaurow ein konzeptionelles Anliegen, ein Zeitbezug, der zurück blickt, der Gegenwart verpflichtet ist und den Ausblick wagt.

Vor 100 Jahren nämlich begann jene Flucht ins Vergnügen in den sogenannten goldenen Zwanziger Jahren. Alles schien möglich zu sein, Aufbruch, Aufbegehren, die Künste sprengten ihre Grenzen, insbesondere in den Clubs und Bars, auf den Bühnen des Vergnügens hieß man das Fremde willkommen, feierte den Jazz und durchbrach in bislang unbekannter Offenheit existenzielle und sexuelle Grenzen.

Auf diese „goldenen“ Jahre folgten die braunen. Auf den Überschwang der Freiheit folgten die Rufe nach Ordnung, nach der Besinnung auf das Eigene, nicht zuletzt nach der Bereinigung der Künste. Bald galt als entartet, was nicht der Art der neuen Machthaber entsprach. Und das betraf sie eben besonders hart, jene Künstlerinnen und Künstler der heiteren Art, der Revue, der Operette, der Schlager und des Tanzes.

Ganz sicher will Kathrin Kondaurow nicht den belehrenden Zeigefinger erheben oder mit Zaunlatten winken. Aber bei allem Vergnügen des Genres, dem sie sich verschreiben will, könnte es nicht schaden, immer wieder auch zwischen den Zeilen zu lesen. Sich darauf einzulassen, Untertexte wahrzunehmen und eben auch jene Töne, die mitschwingen im System der fünf schwarzen Linien, aus denen Esra Rotthoff das neue Logo und das künftige Design der Staatsoperette entwickelt hat. Vorerst in sachlichem schwarz-weiß grundiert durch die fotografische Dynamik des Tanzes, später – so ist es vorgesehen – auch in den Farben der Vielfalt des gesamten Ensembles und der künstlerischen Formate.

Zu denen gehören in Kathrin Kondaurows erster Saison natürlich auch Klassiker wie die große Operette »Casanova« mit der Musik von Johann Strauss, bei der es sich aber in Bearbeitungen von Ralph Benatzky um eher unbekannte Kompositionen des Wiener Walzerkönigs handelt. Regie führt Sabine Hartmannshenn. Letztes Jahr hatte sie im Chemnitzer Ring-Zyklus Wagners »Siegfried« inszeniert. Da vergingen fünf Stunden nicht gerade im wie im Fluge, aber Langeweile kam nicht auf.

Jaques Offenbach ist auch vertreten: Valentin Schwarz, geboren 1989, der jüngste Debütant am Regiepult der Staatsoperette, inszeniert die Opéra-buffe »Die Banditen«. Andreas Schüller steht in seiner letzten Saison als Chef des Orchesters der Staatsoperette am Pult. Als Meisterbandit konnte Tom Pauls für die Rolle des gerissenen Schatzmeisters Antonio gewonnen werden; fröhliches Wiedersehen also für die Dresdner Fans der reiferen Generationen.

Beim Musical »Emil und die Detektive« nach Erich Kästners Kinderbuch werden die jungen Zuschauerinnen und Zuschauer nicht nur zusehen. Sie werden auch auf der Bühne stehen, spielen, singen und tanzen in dieser erstmaligen großen Kooperation mit dem Kinderchor, dem Jugend-Musical-Chor der Staatsoperette, der Musical Company Oh-Töne und dem Heinrich-Schütz Konservatorium Dresden. Es heißt auch wieder »Backstage«, wenn in der Regie und Choreografie von Radek Stopka das Ballett der Staatsoperette rasante Einblicke in den Alltag der Tänzerinnen und Tänzer gewährt. Einmal im getanzten Schnelldurchlauf, vom morgendlichen Training im Ballettsaal zu den Proben bis hin zum großen Auftritt im strahlenden Licht der großen Bühne. Da geht es klassisch zu, modern mit Step und Breakdance, es gibt Hip-Hop und sogar »Schwanensee« – von purer Percussion ist angekündigt.

Und dann wird getanzt im Kraftwerk, beim Sommernachtsball zum Abschluss der Saison. Die Nacht soll zum Tag werden auf dem herrlichen Kraftwerksgelände, Träume sollen wahr werden und alle machen mit, Sängerinnen und Sänger, Tänzerinnen und Tänzer, die Mitglieder des Orchesters und natürlich und vor allem das Publikum.

Für Dresdens Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch stand zur Begrüßung von Kathrin Kondaurow in der Staatsoperette fest: „Ja, die Entscheidung war richtig“! Ob sie recht hat? Spätestens zum Aschermittwoch nächsten Jahres wissen wir mehr.

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