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Der gute Mensch aus Blasewitz

Schillergalerie – was für ein Name! Ortsfremde denken da vermutlich an prächtige Ausstellungsräume, gewiss mit deutlichem Bezug auf den Klassiker der deutschen Literatur, dem »Die Räuber«, »Der Handschuh« und die Ode »An die Freude« zu verdanken sind. Als ich neu war in Dresden, ging es mir ebenfalls so. Und groß war die Enttäuschung, zwischen Loschwitzer und Hüblerstraße einen vorstädtisch gesichtslosen Zweckbau zu finden, der ein Popcorn-Kino nebst mehreren Krämerketten-Filialen beherbergt. Dass hier einst das Naumann’sche Palais gestanden haben soll, erfahre ich nun aus einem schmalen Büchlein des Dresdner Theaterwissenschaftlers und Publizisten Jens Daniel Schubert. Immerhin verweist eine Stele auf dem Betonplatz vor der Billigheimer-Kastenarchitektur auf den Namensgeber des 1945 zerstörten Palais’ – Johann Gottlieb Naumann.

»Aus Blasewitz in die Welt« ist diese Schrift über den bis heute verkannten Hofkapellmeister überschrieben. Sie beinhaltet neben authentischem Wissen über den in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsenen Musikers eine Reihe von sehr bildhaft beschriebenen Fiktionen, wie sich das Leben des Meisters so oder so ähnlich auch zugetragen haben könnten.

Feststehen dürfte wohl, dass sich Naumanns Elternhaus just dort befunden hat, wo heute die Filiale eine Großbäckers aufgewärmte Geschmacksstoffe vertreibt. Was insofern interessant ist, da Naumanns fleißige Mutter dort schon vor über 250 Jahren Kaffee und Kuchen „zu moderaten Preisen“ verkauft haben soll. Dazumal freilich noch wirklich vor Ort gebacken. Wer in dieser Umgebung aufgewachsen ist – Blasewitz war ein Dörfchen weit vor den Toren von Dresden, die Verbindung nach Loschwitz bestand aus kleinen Fährschiffchen -, dem ist seinerzeit keine Weltläufigkeit vorgezeichnet gewesen. Und doch entwickelte sich der im April 1741 in eine ärmliche Häuslerfamilie geborene Naumann über Stationen in Norddeutschland, Italien, Dänemark und Schweden zum angesehenen Hofkapellmeister von Sachsen.

Jens Daniel Schubert apostrophiert diesen Lebensweg quasi „vom Tellerwäscher zum Millionär“. Zu verdanken hatte Naumann dies wohl dem Verständnis seines Vaters (der immerhin über musikantisches Talent verfügt und in Kneipen aufgespielt haben soll), dem Eigennutz des schwedischen Geigers Anders Wesström sowie der Selbstlosigkeit von Giuseppe Tartini. Das ist der mit der Teufelstriller-Sonate, die übrigens heute auf Schloss Augustusburg erklingt; er erkannte Naumanns Talent und unterwies ihn daher eine Zeitlang kostenfrei.

Recht anschaulich und somit gut nachvollziehbar werden auf gut 100 Seiten all diese Lebensstationen des Johann Gottlieb Naumann dargestellt. Manche Episoden sind detailreich ausgeschmückt, andere werden mehr dokumentarisch gestreift. Dadurch gerät die Gewichtung der einzelnen Epochen zwar etwas uneinheitlich, doch es entsteht unterm Strich ein Zeitbild, das die Vita Naumanns in sächsische und europäische Historie einbettet und auch die Zustände an den damaligen Herrscherhäusern streift.

Heute wird Johann Gottlieb Naumann in Dresden mit Gedenksteinen und -tafeln geehrt, in nunmehr längst eingemeindeten Blasewitz trägt eine Straße seinen Namen. Auch darauf verweist Jens Daniel Schubert in den gut 30 kurzen Kapiteln seines – trotz lausigen Lektorats – sehr lesenswerten Büchleins.

Jens Daniel Schubert – Aus Blasewitz in die Welt
Episoden aus dem Leben des Dresdner Komponisten Johann Gottlieb Naumann

Donatus Verlag Niederjahna
ISBN 978-3-946710-13-4
116 S., 14,95 Euro