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Nichts kocht über, nichts brennt an

Im südlichen Licht von Reid Stirling Baker, vor einem Prospekt mit symmetrischen Mandalamotiven im Bühnendesign von Shepard Fairey/ObeyGiant.com, kommen 17 Tänzerinnen und Tänzer sportlich, cool gekleidet von Reid Bartelme und Harriet Jung ganz lässig auf das Publikum zu, bis an die Rampe, an den Orchestergraben, wo die Sächsische Staatskapelle unter der Leitung von Eva Ollikainen das erste Klavierkonzert von Bohuslav Martinů spielt. Der Solist ist Adrian Oetiker.

Denis Veginy, Ensemble: »Heatscape« (Alle Fotos: Ian Whalen)

Schon dies ist ein besonderer Gewinn des am Ende stürmisch und jubelnd gefeierten Ballettabends. Martinůs 1925 in Prag uraufgeführtes Konzert mit romantischem Nachklang großer Orchesterpartitur, Motiven heimatlicher Folklore des tschechischen Komponisten, und immer wieder diesen wunderbaren, schon an sich tänzerischen Variationen so unterschiedlicher Stimmungen für das Soloinstrument, fordert die Bewegung, den Tanz geradezu heraus. Und das hat der Choreograf Justin Peck, dessen Kreation »Heatscape« hier ihre Europäische Erstaufführung feiern kann, auf ganz geniale Weise im Gespür und mit sportiver Eleganz in seinem ganz und gar nicht wie von gestern wirkenden, neoklassischem Ballett choreografiert. Nicht dass Justin Peck in den rasch wechselnden Zusammenführungen der Tänzerinnen und Tänzer, in den Pas de deux´s der beiden ersten und dem Pas de trois des dritten Satzes in direkter Weise den musikalischen Linien tänzerisch nachfolgte.

Gareth Haw, Svetlana Gileva (»Heatscape«)

Er folgt ihnen dennoch, schafft im Tanz eine eigene, schwingende Ebene der Musikalität mit einer Vielzahl tänzerischer Facetten. Zwar haben im ersten, temperamentvollen Satz, Zarina Stahnke und Denis Veginy herrliche Variationen der Kunst des Pas de deux zu tanzen, aber immer im spiegelnden Dialog mit dem Ensemble und den nächsten Solisten des bedächtigeren, zweiten Satzes, Svetlana Gileva und Gareth Haw, zu denen sich auch schon die Solisten des flinken Finales, Alice Mariani, Julian Amir Lacey und vor allem Houston Thomas mit seinen fröhlichen, lichtdurchfluteten Sprungvarianten gesellen. Einfach Spitze, dieser Spitzentanz, ganz gegenwärtig und dermaßen authentisch, als hätte der 1987 in Washington D.C. geborene Justin Peck, seit 2014 Hauschoreograf beim New York City Ballet, das vor drei Jahren beim Miami City Ballet uraufgeführte Ballett »Heatscape« eigens für die Dresdner kreiert.

Dann gab es erst mal den vom Dresdner Künstler Sven Schubert geschaffenen Stier mit der schönen Europe auf dem Rücken für das seit zwölf Jahren von Aaron S. Watkin erfolgreich geleitete Semperoper Ballett. In ihrer Laudatio zur Verleihung des Europäischen Kulturpreises »Taurus« betonte dies auch die Sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Dr. Eva Maria Stange, lobte die schöpferische Ausdruckskraft dieses internationalen Ensembles, vor allem im Hinblick auf die inzwischen längst nicht mehr lediglich europäische Anerkennung von Watkins Arbeit mit den Tänzerinnen und Tänzern bei der beispielhaften Verbindung von Tradition und Moderne.

Und so so passte es bestens, dass im zweiten Teil des Abends als Dresdner Erstaufführung Jiří Kyliáns vor zehn Jahren entstandenes Ballett »Gods and Dogs«, im eigenen Bühnenbild mit dem inzwischen berühmt gewordenen glitzernden und flimmernden Vorhang aus unzähligen Schnüren, in seiner geheimnisvollen Durchlässigkeit für die acht Tänzerinnen und Tänzer, nun endlich im Dresdner Repertoire angekommen ist. In der Dunkelheit des Lichtes von Kees Tjebbes flackert an der Rampe, vor einer Treppe, die in finsterte Tiefe führt, eine einsame Kerze als so bedrohtes, wie zu schützendes Zeichen der Hoffnung. Passend zum Titel, der sich auf ein Bildmotivotiv aus der ägyptischen Mythologie bezieht, dass einen doppelgesichtigen Gott mit einem menschlichen Antlitz und dem eines Hundes zeigt, verunsichert immer wieder die dynamische Projektion eines auf die Tänzerinnen und Tänzer zueilenden Hundes. Eindrucksvoll sind die die choreografierten Bilder der Menschen und ihrer Schatten, die ihnen gänzlich andere Dimensionen verleihen. Von geradezu meditativem Ausdruck ist die Komposition von Dirk Haubrich, in der immer wieder in zeitgenössischer Soundästhetik eingebettet, Passagen aus dem zweiten Satz von Beethovens Streichquartett Op. 18, Nr. 1, zu hören sind.

In einen solchen Dialog der Zeiten führt auch die Choreografie Kyliáns, die sich immer wieder auf neoklassische Traditionen bezieht, diese dann aber in zeitgenössischem Gestus bricht. Zudem zeigt Kyliáns Kreation die Menschen in immer wieder sich wandelndem tänzerischem Gestus auf der Suche nach Nähe und Geborgenheit. In der Musikalität der Bewegungen können sie auch immer wieder der sie umgebenden Dunkelheit und der Unberechenbarkeit dessen, was ihre Schatten bedeuten, entkommen. Auch die Tänzerin, die zunächst in diesen dunklen Abgrund herunter steigt, steigt wieder auf, kehrt zurück in die Gruppe. Keine Entwarnung, aber ein Hoffnungsschimmer schon, als fänden die  stummen Schreie der Sprachlosigkeit ihrer immer wieder weit geöffneten Münder der Tänzerinnen und Tänzer doch ein fernes Gehör.

»Corpse de Ballett«

Am Ende dieses Abends gibt es mit der Uraufführung »Corpse de Ballet« einen Totentanz im Walzertakt und mit widerständigen Motiven israelischer Folklore toter und lebender Menschen an der Schwelle des Todes. Erstmals hat der israelische Choreograf Hofesh Shechter mit einer Ballettkompanie in Deutschland gearbeitet. Shechters für Dresden geschaffene Arbeit, die etliche Motive bisher geschaffener Stücke aufnimmt, mal ganz direkt, mal leicht variiert, spielt in einer erstorbenen Landschaft. Hier liegen tote Körper unter einem erstorbenen Baum, dem ganz sicher kein grünes Blatt mehr entsprießen wird. Zehn Tänzerinnen und Tänzer, mal Lebende, mal Tote, in diesem Totentanz, diesen Tanz für die Toten und mit ihnen. Die Tradition des Totentanzes führt ins Mittelalter, dahin führt auch der Klang einer zu Beginn und am Ende zu vernehmenden Komposition von Hofesh Shechter, die bekannte, von tröstlicher Jenseitshoffnung getragene, psalmodierende Motive aufnimmt, diese in der Härte skandierender Rhythmik unbarmherzig hinterfragt, und dennoch nicht gänzlich zu zerstören vermag.

Zunächst wie im Hintergrund, dann immer präsenter und in bei Shechter zu erwartender Lautstärke, überbordende Wiener Walzerseeligkeit, »An der schönen blauen Donau«, von Johann Strauss Sohn. Und schon bewegen sich die Totentänzer im Walzertakt, die Hände flattern aufgeregt, der Walzertanz kann militante, marschierende Bedrohlichkeit annehmen. Immer wieder die Frage, ist das der Tanz mit dem Tod, dagegen, oder in den Tod hinein, und dies auch noch – welche Ironie der Geschichte – in fröhlichem Walzertakt. Mit dem Begriff des Todes spielt ja auch der Titel dieser Kreation, »Corpse de Ballet«. Die Tänzerinnen und Tänzer in den Kostümen von Frauke Schernau und Hofesh Shechter sehen aus wie Menschen auf der Flucht, sie tragen am Leib, was noch greifbar war. Shechters Licht, hier eingerichtet von Fabio Antoci, assoziiert mit viel Nebel theatrale Endzeitstimmung eher allgemeiner, universeller Erfahrungen mit der Freiheit für die Zuschauenden, eigenen Assoziationen anhand von Erfahrungen und Informationen Raum zu geben.

Wer allerdings am Abend zuvor in Hellerau, beim Gastspiel die Hofesh Shechter Company mit »Grand Finale« gesehen hatte, dürfte am Abend danach in der Semperoper etliche Déjà-vus erlebt haben. Musikalisch, tänzerisch, thematisch zumal, und könnte auch zu dem Eindruck gelangen, dass es sich bei »Corpse de Ballet« zwar um eine dramaturgisch stringentere, insgesamt aber letztlich doch leicht abgemilderte Variante von »Grand Finale« handle. Auch hier der Walzer in der Semperoper, nur eben nicht in solcher Schärfe wie tags zuvor in Hellerau. Denn nach eindeutigen Verweisen auf Szenen des Holocaust, Völkermord und Kriege, ist es ausgerechnet der Walzer aus Hitlers Lieblingsoperette »Die Lustige Witwe«. Es bedarf nur einer freundlichen Aufforderung – schon summt das Publikum mit.

Weitere Termine: 6., 10., 15.06.; 1., 5., 07.; 9., 13., 17. 09.