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Die Staatsoperette und ihre Vorläufer

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Der Oberbürgermeister hatte das »Stufen«-Gedicht zur feierlichen Eröffnung des (Kultur-) Kraftwerks Mitte publikumswirksam zitiert. Sein Redenschreiber liest also Hesse. Anfang bedeutet aber auch Abschied. Im Fall der Staatsoperette Dresden, deren jüngstes Kapitel nun im Kraftwerk Mitte aufgeschlagen ist und seit gut einem halben Jahr dort fortgeschrieben wird, liegt der Abschied nicht nur in der alten Spielstätte Leuben mit ihrer maroden Tristesse, sondern auch in weiteren Vorgängern. Dem Albert-Theater zum Beispiel, das im Krieg verschütt ging. Zwei daraus übriggebliebene Musen zieren nun die neue Spielstätte im einstigen Kraftwerk.

Ein Bild- und Textband liefert einen ebenso informativen wie launigen Rückblick auf Dresdens Operetten- bzw. Volkstheater-Historie. Unter dem Titel »Metropole des Vergnügens« wird dieser einzigartigen Geschichte nachgegangen, die – neben Leipzigs Musikalischer Komödie – die Zeiten recht erfolgreich als Unikat überdauert hat. Bis auf die Anfänge um das Jahr 1844 herum geht der theatererfahrene Autor Andreas Schwarze zurück, um die Vielzahl der Dresdner Vergnügungsstätten und deren Eigenheiten aufzuzeigen. Dazu lässt er auch gerne mal Theaterprinzipale zu Wort kommen, die – quasi authentisch – den Zeitgeist frühester Volkstheater anklingen lassen. Er stützt sich für sein Kompendium auf diverse Jahrgänge des Bühnen-Almanachs sowie von Theater-Jahrbüchern, hat in Privatarchiven recherchiert und Zeitzeugen befragt. Herausgekommen ist kaum weniger als ein Geschichtsbuch der heiteren Muse von Dresden. Untertitel: »Die Geschichten hinter dem Lachen«.

Königlich-Sächsischer Untertanengeist kommt dabei ebenso zur Sprache wie das chancenlos gebliebene Aufbegehren des Bürgert(h)ums vom Mai 1849, desgleichen die sprichwörtliche „Glasglocke“, unter der die einstige Residenzstadt im Elbtal noch stets ihrem eigenen Trott nachhängt. Dem Drang zu unterhaltsamer Beschaulichkeit entsprechen beispielhaft genannte Spielpläne, von Stand des Realitätssinns künden finanzielle Malaisen, die den Künsten des Vergnügens schon immer verbunden waren – und, so wäre anzufügen, es in beständiger Treue des Missbehagens geblieben sind. Lustspiele und Possen beherrschten die Szene, aber auch revolutionäre Texte wie Schillers »Räuber« fanden ein Publikum. Der Spagat zwischen Anbiedern bei überkommenen Institutionen wie Hof, Kirche sowie Militär und künstlerischem Anspruch (eines aufgeklärt kritischen Bürgertums) weckt durchaus Vergleiche zur Gegenwart.

Auch Bauverzug, technische Pannen und der ewige Hang zum Nachahmen von Vorbildern – für das einstige Herminia-Theater etwa wurde das Pariser Théatre Lyrique imitiert – sind keine Erfindung der Neuzeit. Parallelen aber tun sich selbst zu jüngsten Novitäten auf: „Haus: Großartig! Ausstattung und Regie: Sehr anerkennenswert! Künstlerisch: Na ja, wir sind schließlich in Dresden.“ Ein Zitat, das sich auf eine Theatereröffnung des Jahres 1872 bezieht, aber so ähnlich auch im Dezember 2016 gefallen sein dürfte.

Natürlich, auf die Weihe des neuen Operettenstandorts im Kraftwerk Mitte zielt dieses Buch. Doch bevor die Sprache auf die Staatsoperette kommt (und auch dem langjährigen Interim in Leuben ein kleines Denkmal setzt), wird die Historie der Dresdner Vergnügungstempel ziemlich ausführlich abgespult. Dass dies so informativ wie unterhaltsam geschieht, liegt gewiss an der gelebten Theateraffinität von Andreas Schwarze, der vielfältig als Regisseur und Autor für die Bühnenkunst tätig gewesen ist. Neben Anekdoten und Fakten widmet er sich ausführlich dem gesellschaftlichen Diktat der Vergnügungstempel, die zwischenzeitlich auch mit verklärenden „Zeitstücken“ sowie „volksdemokratischen Folklorekostümen“ der Propaganda zu dienen hatten. Kaum minder spannend sind Wende- und Nachwende-Geschichten der städtischen Staatsoperette in der „Metropole des Vergnügens“ dargestellt worden.

Darüber hinaus erschien zur ersten Premiere im neuen Domizil noch ein eher schmales Büchlein, das es aber faustdick in sich hat und ebenfalls von der Staatsoperette Dresden herausgegeben worden ist. Die Werkmonografie »… was Musik bewirken kann.« widmet sich ausführlich Jacques Offenbachs »Orpheus in der Unterwelt«, zeichnet die Genese des in vier Fassungen existenten Werks ebenso nach wie die politische Situation zur Entstehungszeit und die Nachwirkungen dieser seit mehr als 400 Jahren, erstmals durch Claudio Monteverdi musiktheatralisch verwendeten Mythologie.

In einer auf den ersten Blick überraschenden Versammlung unterschiedlichster Autoren findet sich neben Musik- und Theaterwissenschaftlern sowie Publizisten auch ein Jurist. Der reflektiert das Thema „Macht der Öffentlichen Meinung“ und bezieht sich damit sowohl auf die konkrete Figur der Offenbach-Operette als auch auf deren doppelbödige Deutungshoheit. Andere Beiträge analysieren die Wirkungsmacht der Offenbachschen Musik; hätte man die Essenz dieser prägnanten Essays als Blaupause einer Neuinszenierung genommen, wäre ein Anfang mit Zauber durchaus zu schaffen gewesen.

Andreas Schwarze: „Metropole des Vergnügens“, Saxophon Verlag, 200 S., 22,90 Euro, ISBN 978-3-943444-599

„… was Musik bewirken kann.“, Thelem Verlag, 145 S., ISBN 978-3-945363-553