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Mut zur Moderne!

Im Herbst 1997 hätte das gewiss niemand für möglich gehalten. Doch nun sind zwanzig Jahre vergangen und das damals gegründete ensemble courage gibt es noch immer. Diese Jahre bedeuten nichts weniger als zwei Jahrzehnte Mut für die Neue Musik. Der vom Komponisten Benjamin Schweitzer in Dresden gegründete Klangkörper ist inzwischen zwar international gefragt, wenn es um musikalisches Experiment und Wagnis geht, aber seine Wurzeln sind bis heute nicht vergessen. So fand das Jubiläumskonzert natürlich in der Geburtsstadt Dresden statt, genauer: im Festspielhaus Hellerau. Dort stand letzte Woche die deutsche Erstaufführung der von Helmut Oehring komponierten Filmmusik zu Wilhelm Murnaus Stummfilm »Sunrise« auf dem Programm. Live aufgeführt wurde sie vom ensemble courage mit dem Stimmakrobaten David Moss unter der musikalischen Leitung des jungen Dirigenten Alexandre Balzamo. Mein Eindruck: Die trauen sich was! Dieser Anspruch steckt ganz selbstverständlich im Namen: Das ensemble courage steht von Anbeginn an für mutigen Aufbruch. Die Musikerinnen und Musiker dieses Ensembles pflegen seit nun schon zwei Jahrzehnten wirkliche Avantgarde. Was freilich immer wieder für neue Herausforderungen sorgt, nämlich nach Dingen zu suchen, für die man tatsächlich Mut braucht.

Die Geigerin Uta-Maria Lempert, deren musikalisches Spektrum von der Barockmusik bis zur Moderne reicht, bringt es auf den Punkt: Sie weiß allerdings auch, wie schwer es gerade Neue Musik heute noch hat: „Wir erhoffen uns nach wie vor ein breiteres Publikum, da suchen wir weiter nach Möglichkeiten und Wegen. Wir versuchen auch Projekte auf die Beine zu stellen, wo wir mehr Leute ansprechen können. Denn wir wollen gerne Musik machen, die einerseits uns anspricht und herausfordert, und andererseits ihre Leute findet.“ Genau deswegen hat sich Uta-Maria Lempert auch so sehr auf das Murnau-Projekt mit Helmut Oehring gefreut, der dem 1927 in Hollywood entstandenen Stummfilm – seinerzeit eine der teuersten Produktionen überhaupt – eine eigene Klangsprache verpasst hat. Ursprünglich für Aufführungen in der Schweiz sowie in Frankreich, inzwischen für Hellerau nochmal überarbeitet. Komponist Helmut Oehring bekennt, er liebe diese Art von Transfers, also Verwandlung, aus Literatur einen Film und aus Film eine Komposition zu machen. Um dann alles zusammen zu erleben. Der 1961 in Berlin geborene Künstler mag es, „wenn alle Sinne angesprochen werden, also ich mich als Mensch auf dieser Erde wahrnehmen und vermitteln darf. Mit einer uralten Geschichte, die mir erzählt wird, von Frau und Mann, von Dorf und Stadt. Vom Leben auf dieser Erde.“

Das könne er natürlich nicht musikalisch untermalen: „Weil Musik nicht Tapete ist.“ Als Komponist habe er die Aufgabe, „die Dinge, die Murnau nicht gezeigt hat, und die auch das Buch nur andeutet, auf ganz subtile, emotionale Art und Weise zu komponieren und zu erzählen, wie es eben nur die Musik kann.“ Musik sei für ihn „die Königin der Erzählerinnen“. Und das Geburtstagskind ensemble courage durfte sich dafür feiern lassen, „dieses Universelle, was im Film drin ist an Gefühlen und Zuständen, die aber nicht auf den ersten Blick zu sehen sind“, hörbar zu machen. Oehrings Musik schaffe einen Spiegel, formulierte es Uta-Maria Lempert. Man habe die Möglichkeit, alles etwas individueller zu sehen. „Das Schöne ist doch, dass wir keine illustrative Musik spielen, die diesen Film untermalt. Da hätten wir keine Neue Musik gebraucht.“ Und dafür hätte ein Helmut Oehring wohl auch kaum zur Verfügung gestanden. Der Berliner Komponist steht vielmehr für unangepasstes Wagnis, für die Suche nach ganz neuen Verbindungen.

Murnaus 1927 in Hollywood entstandenes Meisterwerk präsentiert eine geradezu existenzialistische Geschichte und stellt seit 90 Jahren einen Meilenstein der Filmkunst dar – der nun wieder mit einem ganz neuen Klangbild aufleuchtet. Symbolische Bilder, die Murnau erzählt, aus denen die Musik nun noch sehr viel mehr hervorgeholt hat. Die »Seven Songs for Sunrise« von Helmut Oehring sind damit ein höchst würdiges Geburtstagsgeschenk zum zwanzigjährigen Bestehen des ensemble courage.

Am 4. Juni gibt es die Fortsetzung der Reihe „Komponisten zum Frühstück“, ein Gesprächskonzert vom ensemble courage mit dem Komponisten Mark Andre.