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„Als Kulturhauptstadt sollte man den Anspruch haben, Kunst zu fördern und nicht einzudämmen“

Hermes Helfricht sah mit drei Jahren das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker im Fernsehen. Da stand Zubin Mehta vor dem Orchester. Wie er schaffte, mit kleinen und größeren Bewegungen die ganze Musik zu beeinflussen – das interessierte den Jungen. Also teilte er den Eltern mit: ich will Dirigent werden! Nun gehört er zu den wenigen, die dieses Ziel tatsächlich erreicht haben. Sein ehemaliger Kruzianer-Kollege Paul Knüpfer hat ihn interviewt.

Foto: Franziska Pilz

Hermes, wie verliefen eigentlich damals deine ersten dirigentischen Schritte?
Ich hatte sowohl bei Herrn Kreile als auch später bei Herrn Kopp Unterricht und habe das Grundwerkzeug gelernt. Vorher habe ich ihnen in den Proben beim Dirigieren zugesehen, wie sie den Takt schlagen, welche Gesten sie verwenden.

Unterschieden sich beide?
Klar, jeder Dirigent hat ja seine eigene Schlagtechnik. Ich habe viele Varianten gesehen und verinnerlicht. Dies war später im Studium nicht anders. So habe ich viel durch Beobachten während der Proben und in Konzerten gelernt. Man muss sich überlegen, was passt zu mir, was würde ich anders machen. Ich hatte die Möglichkeit, viele Konzerte zu besuchen und viele Proben berühmter Dirigenten mitzuerleben.

Bei dieser Methode haben sich sicher auch einige Vorbilder herauskristallisiert, oder?
Also natürlich Zubin Meta. Aber es gibt in jedem musikalischem Stil Dirigenten, die Vorbildwirkung haben. Wenn ich mich jetzt auf eine Mahler-Sinfonie vorbereite, würde ich eventuell eine Aufnahme von Claudio Abbado zu Rate ziehen.

Gibt es auch im Dresdner Raum Vorbilder?
Da ist natürlich Christian Thielemann zu nennen, vor allem im romantischen Repertoire. Was er aus einem Orchester klanglich herausholt, ist imponierend und inspirierend. Egal, ob das jetzt hier in Dresden ist oder er irgendwo anders gastiert. Bei Barock und Frühklassik sind Namen wie Harnoncourt oder Norrington interessant.

Eine Frage zum Kreuzchor. Es gab nach dem letzten Adventskonzert im DDV-Stadion eine öffentliche Diskussion darüber, inwieweit der Kreuzchor dort noch seinen eigenen Werten und seinem Anspruch gerecht wird. Was hältst du von solchen Veranstaltungen?
Ich finde es erst einmal gut und völlig legitim, so etwas durchzuführen. Der Kreuzchor steht mit solchen Events auch nicht alleine da. In ganz Deutschland und auch Europa wird versucht, mit ähnlich gelagerten Veranstaltungen ein breiteres Publikum anzusprechen. Es geht darum, die Musik Menschen nahezubringen, die sonst nichts oder wenig mit geistlicher A-capella-Musik zu tun haben. Und das kommt an!

Es werden also trotz des PR-Charakters Werte vermittelt?
Gerade im Advent ist hier die Brücke leichter zu schlagen, und es ist ein guter Anlass, viele Menschen durch Musik zu verbinden. Wenn diese gemeinsam die Botschaften von Weihnachten singen, kann man das eigentlich nur gutheißen.

Gehen wir doch zurück zu deinem Werdegang. Nach der Kreuzchorzeit hast in Berlin an der Universität der Künste bei Lutz Köhler studiert.
Ein wunderbarer Dirigent und Musiker, einer der jüngsten Professoren seiner Zeit, der früher auch Fagott studierte. Fortgesetzt habe ich das Studium bei seinem Nachfolger Steven Sloane. Natürlich nimmt das Dirigieren einen Großteil des Studiums ein. Es beinhaltet aber ebenso Klavierspielen, Korrepitition und Partiturspiel. Daneben habe ich mir noch ein zweites Hauptfach dazugenommen, Kammermusik, um den Bezug zu den Streichinstrumenten zu gewinnen.

Welche Orchester hast du anfangs dirigiert?
Angefangen hat das für mich mit dem Kammerorchester Wernigerode. Mit der Zeit hat sich ein Netz der Zusammenarbeit gebildet, ausgehende von der Universität mit Orchestern aus dem Berliner Raum bis hin zum Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt. Professor Sloane nahm uns später auch zu seinem Orchester, den Bochumer Symphonikern, mit. Die Bochumer haben mich auch später wieder zu Familienkonzerten eingeladen. Außerdem ermöglichte mir der Deutsche Musikrat die Zusammenarbeit mit Orchestern in ganz Deutschland, aber auch in Estland und Polen.

2015 wurdest du dort in die 2. Förderstufe aufgenommen. Diese nennt sich »Maestros von morgen«. Was beinhaltet sie?
Wenn man diese Stufe erreicht, versucht der Deutsche Musikrat, Kontakte zu Orchestern im deutschen Raum zu knüpfen und fungiert wie eine Art Agentur. Man bekommt Einladungen zu Familienkonzerten oder Kinderkonzerten. Zuletzt war ich in Recklinghausen und durfte dort den »Nussknacker« dirigieren. So lernt man verschiedene Orchester kennen. Wenn die Zusammenarbeit gut funktioniert, wird man vielleicht wieder eingeladen, dann vielleicht zu etwas größeren Projekten. So baut man sich langsam als junger Künstler sein Netzwerk auf. 2013, mit 21 Jahren, durfte ich das Bruckner Orchester in Linz, eins der besten Orchester Österreichs, dirigieren. Ich wurde dort zu Familienkonzerten eingeladen. Das war sicher ein Meilenstein für mich, noch während des Studiums. Dann kamen die Konzerte mit dem Bochumer Philharmonikern und über das Dirigentenforum. Und meine erste Stelle habe ich dann im Sommer 2015 am Theater Erfurt angetreten. Dort stand ich, bei meiner ersten Produktion überhaupt, einer großen Operngala, zum ersten Mal im Graben. Das war etwas Neues und Spannendes für mich und ist akustisch doch etwas ganz Anderes, als wenn man mit dem Orchester auf der Konzertbühne steht.

Was stand auf dem Programm?
Der Liebestod aus dem »Tristan«. Ich musste mich erst mal 10 Minuten orientieren. Danach habe ich mich dann langsam wohlgefühlt. Später habe ich dort das »Land des Lächelns«, »Carmen« und auch die Rockoper »Evita« dirigiert. Ein sehr breitgefächertes Repertoire, was toll war, da ich so viele verschiedene Stile ausprobieren konnte.
Im Februar 2016 wurde ich dann zum Vordirigat nach St. Gallen eingeladen. Ich durfte einspringen, die Oper »Eugen Onegin« von Tschaikowski zu dirigieren. Es hat so gut geklappt, dass ich das Angebot erhielt, ab dieser Saison als erster Kapellmeister nach St. Gallen zu kommen. Das habe ich sehr gern angenommen.

Foto: Jürgen Helfricht

Wo soll es denn eigentlich mal hingehen? Wird dich dein Weg eventuell wieder nach Dresden zurückführen? Hier gibt es ja auch das ein oder andere Orchester.
Da wäre ich natürlich überglücklich, wenn ich hier wieder ankommen dürfte. Natürlich gibt es auch Ziele, doch ich denke ich tu gut daran, erst einmal zu sehen, wohin mein Weg mich führt. Zunächst bin ich sehr glücklich in meiner jetzigen Situation.

Aber irgendwann mal eine Chefdirigentenposition zu erlangen wäre doch nicht verkehrt, oder?
Sicher, vielleicht an einem Opernhaus, in einer Musikmetropole, da dort das Konzertante, das Chorsinfonische, sowie das Theater und die Oper zusammenspielen und einen großen Aufgabenbereich bieten. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg.

Eine letzte Frage. Dresden überlegt, ob man sich als Kulturhauptstadt 2025 bewerben sollte. Dem gegenüber stehen immer wieder Kürzungen im Bereich der Kultur. Ist eine Bewerbung sinnvoll, und wie begegnet man solchen Kürzungen?
Ich finde die Idee, sich als Kulturhauptstadt zu bewerben, sehr gut, wenn man sich anschaut, was Dresden alles bietet. Die Philharmonie, die Staatskapelle, der Kreuzchor, die Kapellknaben, die Staatsoperette, welche ja jetzt ein grandioses neues Haus bekommen hat. Hinzu kommen die Architektur, Museen und Ausstellungen. Es wird so viel geboten, dass der Titel auf jeden Fall berechtigt wäre.

Und die Kürzungen?
Man muss schauen, dass man Kultur am Leben erhält, denn gute künstlerische Qualität, gibt es halt nicht umsonst. Man verlangt von den künstlerischen Institutionen, dass sie einen hohen Standard bieten, und das ist im Prinzip das beste Argument gegen Kürzungen. Leider ist es ja kein Dresdner Phänomen, dass Stellen gekürzt werden. Aber als Kulturhauptstadt sollte man den Anspruch haben, Kunst zu fördern und nicht durch Kürzungen einzudämmen.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

Das Interview entstand im Rahmen des Seminars »Schreiben über Musik« am Institut für Kunst- und Musikwissenschaft der TU Dresden.

Nach der durch das letztjährige Gastspiel bei den Salzburger Osterfestspielen bedingten Pause steht die traditionelle Ostermette 2017 wieder auf dem Terminplan der Kruzianer (Ostersonntag, 6 Uhr). In einer überarbeiteten Fassung wurden die Szenen gestrafft und der musikalische Anteil erweitert. Rudolf Mauersberger hatte die Mette 1941 eingeführt. Um 9.30 Uhr ist der Chor noch einmal im Gottesdienst mit der Bachkantate »Erfreut euch, ihr Herzen« zu hören.

 

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