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Schostakowitschs Erste

Die Sinfonien Dmitri Schostakowitschs haben einen besonderen Platz im diesjährigen Programm der Philharmonie. Nachdem zu Beginn der Spielzeit die gewaltige »Vierte« den Auftakt gab, folgte im November die legendäre »Fünfte«. Daran schloss sich zum 13. Februar die berühmte »Siebente« an, die „Leningrader“, die den Namen des Komponisten in der ganzen Welt bekannt machte. Zwar kannte man in Deutschland, nachdem Bruno Walter die »Erste« Ende der 1920er Jahre mit den Berliner Philharmonikern aufgeführt hatte, in Kennerkreisen dies Werk als genialen Auftakt eines Neunzehnjährigen. Die Sinfonie war die Abschlussarbeit des Kompositionsstudenten bei Alexander Glasunow am Leningrader Konservatorium gewesen. 1926 fand die aufsehenerregende Uraufführung statt. Von der Genialität des jungen Komponisten konnte man sich am vergangenen Wochenende im Dresdner Schauspielhaus ein Bild machen. Der Philharmonie-Chef hat schon mehrfach bewiesen, dass er einen besonderen Zugang zum Werk des russischen Komponisten gefunden hat. So wurde auch die Aufführung der »Ersten« zum beeindruckenden Erlebnis. Noch etwas zurückhaltend, abwartend im 1. Satz, der suchend, jugendlich unbelastet, scheinbar eulenspiegelhaft witzig ansetzt, aber bald tiefer lotet. Selbst hier bestimmen Themen das Klangbild, die an Massenlieder der Revolutionszeit erinnern, die der Knabe erlebte. Gerade dadurch ist diese Eigenheit kennzeichnend für die Originalität des Werkes. Marsch und Walzer prägen die Kontraste. Im 2. Satz, einem Scherzo, stehen sich drängend frische Gassenhauer-Motivik und russische Liedmelodik gegenüber. Das ist ein hinreißendes Stück. Michael Sanderling verstand, dass mit den folgenden beiden Sätzen jugendliche Unbekümmertheit nicht mehr realisierbar war. Der legendenhafte Ton des langsamen Satzes (Lento) im Geiste einer Elegie verwies auf die Zeitproblem der Jahre der Interventionskriege mit Not und Hunger. Eindrucksvoll entfaltet sich die Trauermelodik, die in Erinnerung an Tschaikowskis Sinfonik, vor allem der »Vierten«, ein markantes Schicksals-Motiv als Gegenstimme einbrechen lässt, das sich mehr und mehr durchsetzt. Und am Ende, im 4. Satz, wandelt es sich nach sinfonisch dramatischer Entwicklung von der depressiven Abwärtsbewegung in ein hoffnungsvolles Aufwärts. Ein nachhaltig wirkendes Erlebnis.

Vor diesem beeindruckenden Werk blieb das vorangehende Programm mit Webers klassisch klar erfasster »Freischütz«-Ouvertüre und Rachmaninows Paganini-Variationen für Klavier und Orchester im Hintergrund. Der mazedonische Pianist Simon Trpceski stellte das Werk mit pianistischer Lockerheit vor, korrespondierte musikantisch mit dem klanglich differenziert gestaltenden Orchester. Trotz gelegentlichem Einbeziehen des Dies-irae-Motivs bleibt die Musik von 1934 als spielerisch variables und brillantes Ausspinnen des Caprice-Themas des Teufelsgeigers in lebendiger Erinnerung.