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KlangNetz Dresden lässt wieder von sich hören

Foto: inkje | photocase.de

Nachdem die „Sprachspiele“ der letzten Veranstaltungsreihe von KlangNetz Dresden in Kooperation mit dem Deutschen Hygiene-Museum Dresden gerade erst Mitte Januar mit einem Dialog-Salon zum Thema »Dirigieren — Eine Gebärdensprache?« endete, machen das KlangNetz und seine vielen Ensemblepartner in diesem Jahr nicht mehr nur von sich reden. Sie lassen denn auch, und das in sehr facettenreichen Programmen, von sich hören: »hin!HÖREN« nennt sich die neue Veranstaltungsreihe, die sich ganz dem Thema Hören widmet.

Diesen und anderen Fragen werden die Konzerte, Dialog-Salons und Workshops auf den Grund zu gehen versuchen, »unaufHÖRlich!« hätte das diesjährige Motto daher auch sein können. Erst recht, nachdem der Kulturausschuss der Landeshauptstadt jede Förderung für den Verein eingestellt hat. Da war man kurz davor, das ursprünglich geplante Motto für die Veranstaltungsreihe wörtlich nehmen zu müssen: »auf!HÖREN«. Aber das KlangNetz Dresden, sein Vereinsvorsitzender Jörn Peter Hiekel und geschäftsführender Projektleiter Albrecht Scharnweber denken gar nicht ans Aufhören. Gott sei Dank, möchte man da sagen. Denn Dresden braucht das KlangNetz, braucht die Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Musik, sie bringt frischen Wind in die Barockstadt.

Der ambitionierte Spielplan für dieses Jahr begann am Donnerstagmorgen mit einer Matinee für Kinder, die von der am Abend aufspielenden Sinfonietta Dresden gestaltet und von der Musikvermittlerin Ortrud Kegel konzipiert wurde. Der Matinee ging ein zweitägiger Workshop mit einer 3. Klasse der 14. Grundschule Dresden voraus, der die, zumeist mit (Neuer) Musik noch gar nicht in Berührung gekommenen Kinder zum Hören und Selbermachen anregen sollte. Mit Gläsern, Teekannen und dem ein oder anderen „richtigen“ Instrument wurden Landschaftsbilder akustisch nachgezeichnet, die via Overhead-Projektion in den Raum geworfen wurden. Das Schöne daran: die Kinder hatten ein ganz besonderes und professionelles Publikum. Nämlich die Musikerinnen und Musiker der Sinfonietta Dresden selbst, die mit ihrem Dirigenten Jan Michael Horstmann mit viel Begeisterung und Engagement in den Austausch mit den Kindern gegangen sind. „Und dies ist das besonders Schöne und Wichtige daran gewesen“, so Ortrud Kegel, „dass die Erwachsenen die Kinder ernst genommen haben bei dem, was sie da getan haben.“

Am Abend wurde es dann für die Profis ernst. Der Auftritt der Sinfonietta im Großen Saal des Deutschen Hygiene-Museums Dresden wollte nichts weniger als »Die Kunst des Hörens« nachzeichnen — ein großer Anspruch. Versucht wurde dies unter thematischem Bezug einer Reise nach Osten: Charles Ives’ »The Unanswered Question« für Kammerorchester aus dem Jahre 1909 stellte dabei einen Auftakt dar, der gelungener kaum hätte erdacht werden können. Die konsonant-elegischen Teppiche der Streicher klingen durch den Raum und werden immer wieder von außen gestört: die fragende Solo-Trompete und das dazwischen bellende Holzblasensemble — alles außerhalb des Sichtfeldes des Publikums. Ives’, aber auch das folgende Stück von Frangiz Ali-Zade (Crossing II, 1997) sind Stücke, die sich perfekt in diese Jahreszeit einpassen. Das Monotone, Monochrome wird in diesen Stücken betont, Übergänge vom Schneeweiß über Matschgrau hin zum Nachtschwarz. Einen Satz warme Ohren konnte man bei diesen klirrenden, winterkalten Klängen wahrlich nicht bekommen. Die aber konnten sich schon eher bei Nikolaus Brass’ »music by numbers III« (2017) einstellen, deren Uraufführung die Sinfonietta erst wenige Tage vorher bei den Internationalen Messiaen Tagen in Görlitz spielte. Gemeinsam mit den Solistinnen des Abends, Uta-Maria Lempert (Violine) und Susanne Stock (Akkordeon), glissandieren sich Horstmann und sein Orchester durch so manche Clusterwolke — darin geht das Akkordeon leider allzu oft unter — und spielen redundante Module ab, über deren Reihenfolge die SpielerInnen selbst entscheiden. Hier merkt man Brass die Prägung durch Morton Feldman an. Retardierende Momente strecken die Zeitwahrnehmung, schalten das Hören ein … oder aus? Die Frage wird, gerade in Anbetracht der Konzertreihe, in der das Stück steht, laut: Muss man diese modularen „Baukastenkonstruktionen“ heraushören, um das Stück zu erfassen oder gar Gefallen daran zu finden?

Ein echter Höhepunkt des Konzerts war das im zweiten Konzertteil erklungene Kammerkonzert 1 (1990) von Isang Yun. Eingerahmt von Ludmila Yurinas »Ran-Nan« (1993) und Anton Weberns Instrumentation des Bachschen »Ricercar a 6« aus dem »Musikalischen Opfer« (1935). Yun, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag feiern würde, schuf mit seinem Kammerkonzert 1 „einen Wettstreit der Klangwelten“ (aus dem Programmheft), der leider viel zu selten zu hören ist. Dieses Werk, mit seinen klanglichen Reichtümern, die gefällige und „gefährliche“ Ästhetiken gegenüberstellt — sie wirklich streiten lässt —, sollte viel häufiger auf dem Spielplan stehen. Erst recht, wenn es ein Ensemble wie die Sinfonietta Dresden so schön, anbiedernd und anwidernd zu spielen vermag. Dass Jan Michael Horstmann ganz besondere Freude an diesem Stück zu haben scheint, zeigte sein Esprit, mit dem er seine Musikerinnen und Musiker quer durch die Kulturen lenkte. Ein gelungener Auftakt, der froh und zuversichtlich stimmt für das noch Kommende in diesem KlangNetz-Jahr. Also: nicht nur „hin!HÖREN“, sondern eben auch hinGEHEN!

Ab Ende Mai geht die Reihe weiter. Mit dem Ensemble AUDITIVVOKAL DRESDEN, das sein zehnjähriges Bestehen gleich mit mehreren Auftritten feiern möchte (28.05.-01.06.). Mit einem Dialog-Salon zum Thema »Hirnforschung zu Hören und Musik« und dem »(Un)Hör(Bar)«-Konzert von El Perro Andaluz (15. + 17.08). Mit Kammermusik- und Live-Performance-Konzerten von Günter Heinz (»Wittgenstein + Tänzer«, 14.09.), dem elole-Klaviertrio (»Hören als Konstruktion einer Welt«, 28.09.), des ensemble courage (»Un posible dia, quasi un radiodramma«, 26.10.) und des trio sostenuto (»AufHören — ZuHören — Miteinander Hören«, 02.11.). Das Ensemble vocal modern, unter der Leitung von Christfried Brödel präsentiert zudem am 21.09. »Vokale Symphonik«.

Peter Motzkus