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Prager Moderne im Staatskapellkonzert

vladimir-jurowskiWerke im Konzertsaal  zu erleben, kann man einfach als klangästhetisches Ereignis aufnehmen. Wenn man dann aber noch etwas genauer fragt, Umstände der Zeit einbezieht, persönliche Haltungen des Komponisten aus den Klängen zu erfragen sucht, bringt der Konzerteindruck zusätzlichen Gewinn. Ein solcher Abend war das 8. Symphoniekonzert der Staatskapelle in der Semperoper mit Werken von Alexander Zemlisky, Erwin Schulhoff, Bohuslav Martinu und Leos Janacek. Der Dirigent Vladimir Jurowski, in Moskau ausgebildet, in Dresden und Berlin weiter gefördert und inzwischen international gefragt, hat sich ein solches Programm gewählt. Da er es auf lebendigste Art zu gestalten vermochte, war es eine Lust, dem zu lauschen, was so etwa um 1930 in Prag komponiert oder vorgestellt wurde.

Bestimmte Bestrebungen musikalischer Gestaltung hatten sich im diese Zeit entwickelt und prägten auch Komponisten, die mit der Moldaustadt in Verbindung standen oder von dort kamen. Zemlinsky etwa war eigentlich mit Wien verbunden, auch mit seinem Lehrer und Schwager Arnold Schönberg, dessen Positionen er indes nicht unbedingt akzeptierte. Vorm 1. Weltkrieg und in den 1920er Jahren wirkte er in Prag. Seine Klangsprache hat bei aller Eigenständigkeit noch spätromantische Wurzeln. In der »Sinfonietta« von 1934 offenbart sie sich in solch moderner Form, dass Alban Berg in Wien davon schwärmte und sie für sich vorbildhaft fand. Wer tiefer in das Werk eindringen will, der mag sich mit der dramatischen Problematik in der Oper »Der Zwerg« (1921) auseinandersetzen, die auch hier den tieferen Sinn von Liebe und Enttäuschung trägt.

Ganz anders sein zwanzig Jahre jüngere Zeitgenosse Erwin Schulhoff. Bei aller Gebundenheit an Prag ist er von deutschen Einflüssen geprägt. Es studierte bei Max Reger in Leipzig, daher seine provokative Harmonik, die sich auch in den Jahren in Dresden um 1920 ideologisch nach links ausrichtet, antibourgeois akzentuiert ist. Neue Klangmittel dienen ihm dazu. Das Konzert für Streichquartett und Blasorchester nutzt die ungewöhnliche Besetzung dem spielerischen Grundzug Aggressivität zu verleihen. 1932 komponiert Schulhoff das »Kommunistische Manifest« für Soli, zwei Chöre und auch mit Blasorchester. Der konzertante Widerpart des Streichquartetts wurde bestritten vom Borodin-Quartett aus Moskau, das vor über siebzig Jahren gegründet wurde, aber 2011 neu mit Moskauer Musikern besetzt wurde, die nun hier ihren Beitrag perfekt beisteuerten.

Der konzertante Widerpart des Streichquartetts wurde bestritten vom Borodin-Quartett aus Moskau, das vor über siebzig Jahren gegründet wurde, aber 2011 neu mit Moskauer Musikern besetzt wurde (Fotos: Matthias Creutziger)
Der konzertante Widerpart des Streichquartetts wurde bestritten vom Borodin-Quartett aus Moskau, das vor über siebzig Jahren gegründet wurde, aber 2011 neu mit Moskauer Musikern besetzt wurde (Fotos: Matthias Creutziger)

Vladimir Jurowski stellte das Werk mit markanter und treffender Gestaltung vor, so dass sie deutlich den Zug Prager Moderne auf eigene Weise umsetzte. Diesen Werken traten nun im zweiten Teil des Programms Stücke von wahrhaft tschechischen Komponisten zur Seite. Bohuslav Martinu, der in Prag als Geiger ausgebildet wurde und Mitglied der Tschechischen Philharmonie war, entschied sich für die Laufbahn eines Komponisten und ging 1922 nach Paris, um dort an Ort und Stelle die Einflüsse von Debussy, Ravel und Roussel aufzunehmen und sich mit dem Neoklassizismus Strawinskys auseinander zu setzen. Und diese Züge treten in dem Konzert für Streichquartett und Orchester (1932) deutlich hervor, prägen die Form des Concerto grosso auf eigene Weise nach, die nur noch entfernt an die Vorbilder des frühen 18. Jahrhunderts erinnert. Das Borodin-Quartett trat hier als Concertino dem Tutti des Orchesters gegenüber.

Prager Moderne spricht auch aus Leos Janaceks »Sinfonietta« von 1926, die unter der Stabführung von Vladimir Jurowski zu einem finalen Höhepunkt geriet. Der in Brünn großgewordene mährische Komponist hat dem Werk, das 1926 in Prag uraufgeführt wurde, ein Bild seiner Stadt gegeben und gleichzeitig der 1918 gegründeten Republik einen Freiheitshymnus geschaffen. Als persönlicher Freund von Präsident Masaryk war das Ehrensache. In plastischen Klängen gab er Eindrücke der Stadt Brünn wieder, so auch die der Klosterschule, die er besuchen musste (2.Satz), in der er auf den Spielberg blickte, die Festung, in der so mancher Freiheitskämpfer eingekerkert war (3.Satz). Töne der Straße werden mit Motiven seiner Lachischen Heimat gekennzeichnet (4.Satz). Und über allem strahlte der Klang von neun Fanfaren über den Schlägen der Pauken am Anfang, die am Schluss wieder feierlich strahlend aufgenommen werden. Eine packende, bewegende Interpretation gelang hier Dirigent und Orchester. Begeisterungsjubel feierte das gelungene Konzert historischen Charakters, das aber ganz gegenwärtig erlebbar wurde.