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Herr, schenk doch Niveau.

Dass sich schlagzeilenträchtige Boulevardblätter der sogenannten Hochkultur widmen, ist eher selten. Falls es denn doch einmal geschieht, ist der Inhalt zumeist wenig kulturvoll, mitunter auch nur an den Haaren herbeigezogen.

ctIn Dresden hat sich nun zur sauersten Gurkenzeit mitten im Januar jemand über die aktuellen Verhandlungen zur Vertragsverlängerung von Christian Thielemann geäußert: Doktor Helfricht, seines Zeichens Erfinder des Katzenbenzins und Herr über Hitlers geheimen Cognac-Keller. Sie seien „ins Stocken“ geraten, schrieb der Radebeuler aus Dresden. Das war zwar nur ein Gerücht, füllte aber das Blättchen und regte vermeintlich seriöse Tageszeitungen und Radiosender an, das Thema aufzugreifen – um festzustellen, dass unterm Strich wieder einmal nichts als Schaumschlägerei übrigblieb. Was auf dem Boulevard kolportiert wurde, war gegenstandslos. Vermutlich hatte sich da wer mit einem Musiker getroffen und aus einer nebensätzlichen Bemerkung etwas aufgeblasen? Manche Leute nennen es Schaumschlägerei; Journalismus jedenfalls ist es nicht.

Eigentlich geht es ja schon seit fünf Jahren so, zu Ostern besonders. Dann schauen die Regenbogenjournalisten in die Kugel und kreieren neue Theorien über den Potsdamer Wutbürger und seine Dresdner Schäfchen. 2015 gabs besonders viel Futter, in Berlin stand eine Wahl an, bei der viele in Thielemann den Traumkandidaten sahen. Seitdem ists eigentlich wieder ruhiger geworden; aber irgendwas Saftiges aus der Oper berichten muss man ja immer zwischendurch!

Fakt ist, die Vertragsverhandlungen zwischen Christian Thielemann und dem Sächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst (SMWK) sollten 2016 beginnen. Und sie haben begonnen. Das Ergebnis ist, wie bei Vertragsverhandlungen üblich, erst einmal offen. Zeit ist, auch dies völlig vertragsgemäß, bis Mitte des Jahres. Thielemann ist 2012 in Dresden angetreten, sein Vertrag als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle läuft derzeit bis 2019. Vollmundig lässt das bildreiche Blatt wissen, die „Flitterwochenstimmung“ zwischen Dirigent und Orchester habe sich verflüchtigt, strittig seien vor allem Thielemanns Forderungen nach mehr Ruhetagen bei Tourneen. Zitat: „Diese beschwingte Gemütlichkeit und die wenigen Proben gefallen vielen Kollegen, stoßen jetzt aber auch auf harsche Kritik.“ Das wird einem namenlosen „Kapell-Insider“ in den Mund gelegt. Bekanntlich tragen zwei Musiker, werden sie nach einem Dirigenten befragt, etwa drei bis vier Meinungen über ihn vor. Aber was hat das mit Journalismus zu tun? Geschweige denn mit Kulturjournalismus?! Und bei wem oder wo hält eine „Flitterwochenstimmung“ auch noch nach fünf Jahren?

Die Kapelle und Thielemann passen zusammen, sie verfügen über ein gemeinsames Kernrepertoire, haben ähnliche Auffassungen von Traditionspflege und den gemeinsamen Anspruch an ein hohes Qualitätsniveau. Das stellen sie in Dresden bei Konzerten sowie im Musiktheater unter Beweis, das zeigen sie überregional und international auf Tourneen, sowieso bei den Osterfestspielen Salzburg, nicht zuletzt auch auf CD. Gewiss haben weder Klatschblätter noch deren Autoren, und sei ihre Vergangenheit noch so diffus, ein Interesse daran, dieses Gefüge zu stören. Ihr Interesse liegt in Auflage und Aufmerksamkeit. Aber müssen sie sich dafür solche Armutszeugnisse ausstellen?

Christian Thielemann, unabhängig davon, ob er seinen Vertrag nun über 2019 hinaus verlängern wird oder nicht, tat das einzig Richtige in diesem Zusammenhang: er verbuchte den Gerüchtemacher per E-Mail im journalistischen „Winterloch“.