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Romeo und Julia im schottischen Hochland

Wer wurde nicht neugierig, als er vor Jahrzehnten Maria Callas per Schallplatte in der Wahnsinnsszene aus Donizettis »Lucia di Lammermoor« hörte? Auf der Szene konnte man die ganze Oper nun in Leipzig erleben. Das war echtes Belcanto, kantabel voll ausgesungen und mit Kadenz-Ausuferungen stimmlicher Virtuosität. Die Inszenierung, den szenischen Hintergrund, lieferte Katharina Thalbach, mit einem Team, das die Bühne (Momme Rührbein) einfach, effektiv und ästhetisch reizvoll vorlegte, eingepasst in den Hintergrund kargen schottischen Hochlands. Die Kostüme (Angelika Rieck) verlebendigen die dörfliche Umgebung auf schottische Art, und die Lichteffekte (Michael Fischer) setzten sie bestens ins Bild.

Fotos: Kirsten Nijhof
Anna Virovlanksy, Sängerin der Titelpartie, hatte sich kurz vor der Premiere einen Bänderriss zugezogen. Um die Premiere der Neuinszenierung zu retten, entschlossen sich die Regisseurin Katharina Thalbach und Anna Virovlansky für eine ungewöhnliche Lösung: die Virovlansky sang die Partie aus dem Rollstuhl, Katharina Thalbach schob sie (als Lucias verstorbene Mutter) durch den Abend (Fotos: Kirsten Nijhof)

Das Begeisternde der Aufführung aber ist Donizettis Musik von 1835, die Anthony Bramall mit Belcanto-Bravour meisterte, die schönen Passagen herausspielte und die dramatischen Szenen markant umsetzte. Dazu hatte er ein Sängerensemble, das die Möglichkeiten des Belcanto auszusingen verstand. So wurde die Geschichte nach Walter Scotts Roman »The Bride of Lammermoor« lebendig und von der Regisseurin wie ein Kammerspiel vorgestellt, konzentriert auf die Vertreter zweier verfeindeter Familien, den Ashtons mit Lord Enrico samt Lucia und die Ravenswoods mit Sir Edgardo. Da Lucia Edgardo liebt, Enrico vor dem Ruin steht und zur Rettung seine Schwester mit dem reichen Lord Bucklaw verheiraten will, kommt es zur Katastrophe. Mit operngemäßen Intrigen wird Lucia vorgespielt, dass Edgardo ihr trotz Schwures untreu sei; da gibt Lucia dem Drängen des Bruders nach, heiratet Bucklow, aber wird damit nicht fertig. In der Hochzeitsnacht ersticht sie ihren Gatten (das wird nur erzählt) und verfällt in Wahnsinn (auf der Szene ausdrucksstark realisiert). Da nun also Sänger von Format besetzt sind, erlebte man echte Oper, mitreißend und packend.

Edgardo (Antonio Poli) konnte mit seinem Tenor und ausdrucksstarken Szenen brillieren. Enrico (Mathias Hausmann) setzte sich mit seinem kraftvollen Bariton überzeugend durch, blieb aber im Spiel und der Gestaltung der Partnerbeziehungen zurückhaltend. Hervorragend auch der als Priester agierende klangvolle Bass von Sejong Chang. In jeder Weise im Mittelpunkt stand die Lucia von Anna Virovlansky und wurde denn auch am Ende enthusiastisch gefeiert. Da sie sich kurz vor der Premiere am Fuß verletzte, entschied  Katharina Thalbach, sie im Rollstuhl auftreten zu lassen. Das war keinesfalls ein szenischer „Beinbruch“; denn die Sängerin vermochte ihre Partie auch so überzeugend umzusetzen. Es war, als müsste es so sein. Höhepunkt ihrer ausdrucksstarken Gestaltung war natürlich die berühmte, packend und ergreifend erfasste Wahnsinnsszene. Getragen wurde das alles von einer intensiven Interpretation durch Anthony Bramall und dem bestens mitgestaltenden Gewandhausorchester und dem Chor des Hauses. Die Regisseurin, die nicht nur Shakespeares Romeo und Julia im Blick hatte, sondern auch die Düsternis von Macbeth, integrierte Hexenszenen mit viel Bühnen-Nebel in das Spiel.

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