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Ein Regisseur, an den man sich erinnert

peter-konwitschnyEine kleine Postkartensendung zum Montag. Ich war in Nürnberg, im »Boris Godunow«, in der Inszenierung von Peter Konwitschny. Die Reise hat sich gelohnt! Der Regisseur, an den man sich ganz sicher in Dresden erinnert, wie auch immer, ist 71 Jahre alt und hat die Kraft eines jungen Wilden. Gespielt wird die Erstfassung der Oper von Modest Mussorgski, zwei Stunden ohne Pause, Langeweile kommt nicht auf. (Nächste Vorstellung ist diesen Samstag, 22. Oktober; danach mehrmals im November und Dezember).

Konwitschny inszeniert ein Kasperlespiel, ein Politpuppenspektakel und zeigt eine Politprominenz, die jede Bodenhaftung verloren hat, denn sie bewegt sich, wenn sie Kasperlebühne verlassen hat und sich dem wohlstandsberuhigten Volk nähert, in einer riesigen Hüpfburg, also gewissermaßen gut abgepolstert, auf Luftkissen.

Zar Boris, für den es eng wird wegen der Leiche im Keller und dem sich formierenden Widerstand unter Mönchskutten, macht den Abgang, bevor die ganze Luft aus diesem Luftschloss raus ist. Er reagiert nach sächsischer Herrscherart, „Nu da machd doch eiern Drägg alleene“. Tauscht die Krone gegen einen Strohhut, zieht die Leinenhose an und das Hawaiihemd, lässt einen gelben Luftballon in die Höhe fliegen und taucht ab in den Orchestergraben. Ins Reich der Musik? Die ist ja zu Ende. Dann wird er sicher weiter tauchen, am anderen Ende der Welt wieder auftauchen und ein schönes Leben führen.

Das geniale Ausstatterduo Timo Dentler und Okarina Peter braucht weder Videos noch technische Tricks oder Projektionen. Das Volk sitzt erst im Dreck, die Werbeshow für den neu zu kürenden Zaren ist ein Kasperletheater schlichtester Art – wer da an das denkt, was gerade bei unseren amerikanischen Schwestern und Brüdern passiert, liegt sicher nicht ganz falsch. Die Hüpfburg ist ein genialer Einfall und das mit blonden Perücken und goldenen Klamotten samt Einkaufstüten vereinheitlichte Volk davor erlebt endlich den Menschheitstraum, dass alle Menschen erst dann gleich sind, wenn keiner anders aussieht als der andere.
Timo Dentler und Okarina Peter sind ja auch in Dresden nicht unbekannt, für die Staatsoper, auf Semper2, haben sie schon mehrfach fantasiereich gearbeitet und haben auch die Ausstattung zur Uraufführung bei der Eröffnung der neuen Spielstätte Semper Zwei verantwortet. Und: vielleicht gibt es ja doch noch ein Wiedersehen mit Peter Konwitschny in Dresden? Nürnbergs Opernintendant soll ja, so nichts wieder dazwischen kommt, demnächst die Geschicke in Dresden lenken.