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Jeder mit jedem!

IMG_0052In Deutschland hat das Tanzjahr begonnen. Letzten Freitag wurde es auch offiziell eröffnet. Aus diesem Anlass lud Bundespräsident Joachim Gauck ins Berliner Schloss Bellevue zu einem Abend unter dem Motto »Deutschland tanzt – eine Soiree zur Würdigung des Tanzes« mit anschließendem Empfang in den Räumen des einstigen prinzlichen Lustschlosses und königlichen Landsitzes. Die Moderatorin der Soiree, Christiane Theobald, erhob es im Verlauf des Abends gar zum „Tanzhaus Berlin“. Ich hätte ja nie gedacht, dass ich mal in dieses zum Tanzhaus umfunktionierte Schloss kommen würde! Der Tanz macht es eben möglich.

Der Bundespräsident – offensichtlich ein Filmfan – sprach begeistert von der Schöpfung als universellem Tanz, schwärmte von einer Szene aus Stanley Kubricks Film »2001 – Odyssee im Weltraum«. „Das ganze Weltall: ein Wiener Walzer“. Für den Theologen könne der Tanz „eine kosmische Ordnung spiegeln“. Und so würdigte er den Tanz als Ausdruck des Lebens; als eine Möglichkeit, die jedem Menschen offen stehe. Zudem, so der Bundespräsident, könne jede mit jedem tanzen, „jeder mit jeder, übrigens auch jede mit jeder und jeder mit jedem.“ Am Ende seiner kurzen Laudatio auf den Tanz als flüchtigster aller Künste sagt der Bundespräsident: „Ewigkeit und Endlichkeit begegnen sich selten so intensiv wie im Tanz.“ Darauf tanzten Mitglieder des Staatsballett Berlin Auszüge aus Nacho Duatos Choreografie »Vielfältigkeit, Formen von Stille und Leere«. Wobei die Leere überwog.

Ein bewegender Moment, wenn nicht gar der bewegendste dieses Abends, war der Auftritt des 1953 geborenen Tänzers Lutz Förster, den Pina Bausch 1975 an ihr Tanztheater engagierte. Er zeigte sein berühmtes Solo »The Man I Love« aus »Nelken« von 1982. Zuvor hatte Paula Rosolen mit der von ihr gegründeten Kompanie HAPTIC HIDE einen Ausschnitt ihres Balletts »Aerobics!« gezeigt. Auf sehr eigenwillige und zugleich faszinierende Weise zeigt der in Deutschland lebende japanische Choreograf Takao Baba mit der Kompanie E-Motion einen Ausschnitt aus »RÔNIN – MADE IN GERMANY«, in der es um das Pendeln zwischen kulturellen Identitäten geht. Keine Frage, dieser Ausschnitt machte Lust auf mehr. Lustvoll und lustig zugleich, unangepasst und voller mitreißendem Temperament präsentierten Mitglieder der interkulturelle Kompanie Cactus Junges Theater »Turn out to be«. Tanz gegen Klischees, afrikanischer Tanz traf auf HipHop. Und dann wurde es so speziell wie erfrischend heiter. Der hoch aufgeschossene Schlags Hermann Heisig schlenkerte und schäkerte über die Tanzfläche des herrschaftlichen Schlosses. »SLAP/STIK« heißt sein Solo; trüge er noch einen karierten Pullunder, man könnte ihn für den Olaf Schubert des Tanzes halten.
Zum Finale tanzten Mitglieder des Bayerischen Staatsballetts einen Ausschnitt aus Richard Siegals 2014 uraufgeführtem Ballett »UNITXT«. Das war vielleicht nicht die klügste Entscheidung, denn vom Charakter der als Gesamtkunstwerk aus Tanz, Klang, Raum und Licht kreierten Arbeit Siegals vermittelte sich unter diesen Bedingungen nichts. Keine Frage, die sieben Tänzerinnen und Tänzer präsentieren Spitzenniveau; aber dass es dann doch ein wenig wirkt wie Forsythe light, lag nicht an ihnen.

Ob es damit zu tun hatte, dass die Hauptfront der schönen Aussicht dieses Berliner Schlosses so konsequent nach Westen weist, dass auch an diesem Tag des Tanzes, schon mittags zur Pressekonferenz, der Blick so konsequent nach Westen ging? Da wurden Persönlichkeiten des Tanzes angesprochen wie Reid Anderson, Intendant des Stuttgarter Balletts oder Ivan Liška, Direktor des Bayerischen Staatsballetts, mehrfach John Neumeier und das Hamburg Ballett – war er überhaupt da? -, aber in der zweiten Reihe, vom Bundespräsidenten und der Moderatorin aus rechts gesehen, saß zum Beispiel still Mario Schröder, Ballettdirektor und Chefchoreograf des Leipziger Balletts.

Herr Bundespräsident: Es muss doch wohl so sein, dass im Osten Deutschlands auch getanzt wird? Allein von den mehrfach angesprochenen über 60 festen Kompanien gibt es allein mindestens zehn in Sachsen! Aber das Tanzjahr ist noch jung. Mit dem Alter kommt die Weisheit.