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Schlag nach bei Shakespeare!

Laurence Olivier 1948 als »Hamlet«...
Laurence Olivier 1948 als »Hamlet«…

2016 ist Tanzjahr. 2016 ist Shakespeare-Jahr. Vor 400 Jahren, am 23. April, ist er gestorben.  2014 war auch schon ein Shakespeare-Jahr – wenn man davon ausgeht, dass der Schwan von Stratford-upon-Avon 1564 geboren wurde. Auch wenn nicht genau feststeht, an welchem Tag er das Licht der Welt erblickte; denn festgehalten ist der Tauftag, der 26. April 1564. Weil man lange Zeit davon ausging, dass die Taufe am dritten Tag nach der Geburt vollzogen wurde, setzte man den 23. April als Geburtstag fest. Das macht sich gut. So richtig sicher ist aber nicht mal das Geburtsjahr – und bis heute hören auch die Spekulationen darüber nicht auf, ob denn der „Landlümmel aus dem Drecknest Stratford“, so der Kritiker Alfred Kerr, als er über Shakespeares Komödie „Maß für Maß“ schrieb, „so was allein gemacht hat“.

Wie dem auch sei: seine Stück werden gespielt. Weltweit sind es wohl überhaupt die am meisten aufgeführten. Zudem kann man mit ihnen auch machen, was man will; hier schreiten keine Erben ein, verlangen textgetreue Aufführungen oder nächstens vielleicht auch noch Bühnenbild und Kostüme der Uraufführung. Zudem dürfe man bei diesem Dichter, der es vermochte, „das Komische traurig und das Ernste zum Lachen“ werden zu lassen, wie Gottfried Benn bemerkte, auch gar nicht anfangen danach zu suchen, wie säuberlich erarbeitet seine Grundideen sind, ob sie gar sicher und nachweislich geistesgeschichtlich verankert seien, denn nach solchen Kriterien befragt würde Shakespeare, bei dem zum Beispiel Böhmen am Meer liegt mit direkter Schiffsverbindung nach Sizilien, durch jedes deutsche Examen fallen (so der Philologe Hans Rothe, dessen eigene Bühnenfassungen von Shakespeare-Stücken Stücke indes bei der Kritik durchgefallen sind).

Zurück zum Tanzjahr. Shakespeares Stücke, die Tragödien und die Komödien, bieten offensichtlich beste Vorlagen für den Tanz, für das Ballett. (Für die Oper natürlich auch, aber darum geht es hier nicht im Tanzjahr.) Ganz obenan dürften die vielen Ballette über die Tragödie der Liebenden von Verona stehen. Das erste Romeo-und-Julia-Ballett, soweit bekannt, brachte der Tänzer Eusebio Luzzi 1785 in Venedig heraus. Aber dann, im 20. Jahrhundert, spätestens mit der Uraufführung des Balletts mit der Musik von Sergej Prokofjew, 1938 in Brünn, heute Brno, scheinen Shakespeares Stoff und Prokofjews Musik die Choreografen regelrechten zum Wettlauf um die erfolgreichste Kreation zu verführen. Dabei war die Brünner Uraufführung auch noch nicht der Erfolg, den man mit den Titel verbindet. Der stellte sich erst so richtig mit der Leningrader Fassung, im damaligen Kirov-Theater, in der Choreografie von Leonid M. Lawrowski, mit Galina Ulanova als Julia, ein. Na ja, und dann, John Crankos Choreografie in Stuttgart 1962, die als Gastspiel 1967 im Dresdner Großen Haus zu sehen war. Nach über 50 Jahren läuft Crankos Ballett in Stuttgart regelmäßig im ausverkauften Opernhaus, ebenso sein spritziges Ballett nach Shakespeares Komödie »Die Zähmung der Widerspenstigen«, das gab es dann auch in Dresden.

Shakespeare, Ballett, da darf natürlich John Neumeier nicht fehlen. Der großen Geschichtenerzähler des Tanzes hat sich mehrfach den Dramen und Komödien zugewandt, manchen mehrfach, bzw. er hat jeweils Neufassungen geschaffen. Aus seinen »Hamlet-Connotations« von 1976 für das American Ballett Theatre wurde in Hamburg »Der Fall Hamlet«. Sein Hamburger »Sommernachtstraum«, mit dem er noch vor der Eröffnung der Semperoper im Großen Haus gastierte, wurde später auch vom Ballett der Dresdner Semperoper getanzt. Für den Ausnahmetänzer Gamal Gouda, heute Ballettmeister in Dresden, kreierte er 1985 in Hamburg »Othello«, und als sich Gamal Gouda 1998 von der Bühne verabschiedete, schenkte Neumeier seinem ersten Othello »Ein letztes Solo für Gamal«.

Es lassen sich nicht alle Kreationen nach Shakespeare aufzählen. Meine Auswahl ist bestimmt von Erinnerungen.
Ikonen des Balletts im 20. Jahrhundert schufen Ballette nach »Romeo und Julia«, Frederic Ashton oder Kenneth MacMillan, Hans van Dantzig oder Mats Ek. Nicht immer zur Musik von Prokofjew, Erich Walter in Wuppertal, Maurice Béjart in Brüssel choreografierten zur dramatischen Sinfonie »Romeo und Julia« von Hector Berlioz, andere stellten Musik von Tschaikowski zusammen, nicht unbedingt dessen Fantasieouvertüre gleichen Titels.
Auf jeden Fall ein Hingucker muss die Kreation von Bronislawa Nijinska und George Balanchine 1926 gewesen sein, denn die Ausstattung stammte von Max Ernst und Joan Miró. Auch in neuerer Zeit regt Shakespeare die Choreografen an. Stijn Celis brachte eine sehr eigenwillige Fassung von »Romeo und Julia« zu Prokofjews Musik mit dem Semperoper Ballett heraus. Im Shakespeare-Jahr 2014 Jahr wagte das Ballett des Slowakischen Nationaltheaters in Bratislava sich an eine Hip-Hop-Version. Es blieb ein Wagnis.

Ein grandioses Beispiel der Gegenwart wäre »The Winter´s Tale«, also jenes Wintermärchen, von dem schon die Rede war, von Christopher Wheeldon, als Uraufführung beim Royal Ballet in London zur Musik von Joby Talbot, ebenfalls aus gegebenem Anlass 2014. Wer nicht nach London reisen möchte: den Mitschnitt der Uraufführung gibt es als DVD bei Opus Arte. Ein Muss für Ballett- und Tanzfans! Mario Schröder brachte in Leipzig »Othello« gleich in fünffacher Gestalt auf die Bühne. Und nicht nur das. Shakespeare selbst ist dabei. Er tanzt nicht nur, er singt auch noch. Dafür konnte er den Warschauer Breakdancer und Countertenor Jakub Józef Orliński gewinnen; ein Gewinn für diese Choreografie. Am Welttag des Tanzes, im Tanzjahr 2016, am 29. April, ist dieser »Othello« mit Musik von Henry Purcell, Arvo Pärt und Dmitri Schostakowitsch noch einmal zu sehen.

Schon am 27. Februar und am 12. März gibt es wieder an den Landesbühnen in Radebeul »Hamlet« – Tanztheater von Carlos Matos nach William Shakespeare. Matos hat seinen Hamlet gedoppelt, nicht im Sinne eines Doubles, sondern weil dieser junge Mann inmitten dieser Mördergesellschaft, in der auf niemanden Verlass ist, sonst an der Einsamkeit krepieren würde. Matos fügt geschickt Motive der Tragödie zueinander und eine neue Figur, einen Joker, hinzu.
Es war der Shakespeare-Spezialist Jan Kott, der in seinem Buch »Shakespeare heute« darauf hingewiesen hat, dass man nie den ganzen Hamlet spielen könne, schon weil das Stück eigentlich mehrere, wenn nicht gar viele Hamlets enthalte. Aber jeder Hamlet, den man auf die Bühne bringe, müsse reicher sein, reicher um unsere Zeit, in der sich die Konflikte dieses Mannes spiegeln. Der Tanzcompany der Landesbühnen ist damit gleich zu Beginn des Shakespeare-Jahres eine zeitgemäße Tanztheaterproduktion gelungen. Ich bin gespannt auf Shakespeare und die Folgen. Da müsste ja noch etliches zu tanzen sein.

Wie singen die herrlichen Ganoven in dem wunderbaren Musical, natürlich auch nach Shakespeare, »Kiss Me, Kate«? „Brush up Your Shakespeare!“ – Schlag nach bei Shakespeare… und der Tanz geht los!