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Tod in Arkadien

Rupert Brooke (Quelle: Imperial War Museum, Q71073)
Rupert Brooke (Quelle: Imperial War Museum, Q71073)

Die Insel Skyros mitten im Ägäischen Meer. Olivenhaine ringsum, Aleppo-Kiefern. Der englische Dichter Rupert Brooke war 1915 auf dem Weg in die Schlacht an den Dardanellen, als er an einer Blutvergiftung starb und hier beerdigt wurde. Sein Marmorgrab ist ein Stück England „auf fremdem Feld“, so, wie es sich Brooke in einem patriotischen Sonett ausgemalt hatte.

Das Zitat gibt dem neuen Werk des in Dresden geborenen Komponisten Torsten Rasch seinen Titel: „A Foreign Field“ ist ein vielschichtiger Mehrteiler, nicht Requiem, nicht Oratorium, eher ein Bergwerk der Bilder. Düstere Bilder sind es zumeist, Alpträume, Kriegsahnungen, die einen großen a-capella-Mittelteil umringen. Dieses Herzstück der Komposition ist eine Vertonung des 91. Psalms, die Worte bitten um Erlösung, um Errettung, wo rechts und links Tausende, Zehntausende fallen… So rahmt „A Foreign Field“ quasi die beiden großen Kriege des 20. Jahrhunderts. Die Uraufführung beim „Three Choirs Festival“ in England nahm letztes Jahr Bezug auf den Beginn des Ersten, die deutsche Erstaufführung in Chemnitz letzte Woche auf das Ende des Zweiten Weltkriegs.
Siebzig Jahre sind die Bombenangriffe her, die die Chemnitzer Innenstadt fast völlig zerstörten, in einer Nacht Tausende Opfer forderten. Als „Friedenstag“ begehen die Chemnitzer alljährlich diesen 5. März. Kranzniederlegung durch die Stadtpolitiker, antifaschistische Demos, stille Umzüge mit Kerzen, Glockenläuten – Dresdnern ist diese Art des Gedenkens geläufig, die sich in beiden Städten allen möglichen Umdeutungen des Anlasses gegenüber lange Zeit ratlos zeigte. Auch in Chemnitz hatten die Feiern mit Verklärungen durch die neue Rechte zu kämpfen. Umso wichtiger schien es dem Chemnitzer Generalmusikdirektor Frank Beermann, zum 70. Jahrestag ein musikalisch eindeutiges Zeichen mit seinem Ensemble zu setzen. Mit Torsten Rasch, der nach der Wende nach Japan auswanderte und heute in Berlin lebt, in Chemnitz indes schon sein Orchesterwerk „Wouivres“, seine Oper „Die Herzogin von Malfi“ und die Orchestersuite „Das Haus der Temperamente“ zu Gehör brachte, fand er einen vertrauten Mitstreiter.

Briten zum „Friedenstag“ in Chemnitz

Torsten Rasch (Foto: PR)
Torsten Rasch (Foto: PR)

Ganz unterschiedlichen Textvorlagen, Poeme und Sonette englischer Dichter, Psalmen, düstere Fragmente von Georg Trakl, türmt Rasch in dem Werk auf. Die Texte durchdringen sich, werden vom großen Orchester musikalisch umkreist und bedrängt. Im Gedächtnis bleibt ein Ausriss, den der Solobariton (Nikolay Borchev) vortrug. Von einem schwarzen Hund spricht da der Dichter Edward Thomas, der an seiner Kette reißt und stöhnt… Auch hier war man sofort an die düsteren Gegenden in Michael Endes Phantásien erinnert, und eben an Poussins Arkadien, in dem der Tod zuhause ist. Nach dem ist der dritte, eindrücklichste Teil des Werks benannt: et in Arcadia ego, auch ich, der Tod, war in Arkadien… Die Sängerknaben der Kathedralen von Gloucester und Worcester rezitierten wie in Todesangst nur noch einzelne lateinische Worte, grammatikalische Merksprüche, „penes, pone, post et praeter“, als letzte Zivilisationsinseln am Tag des Zorns, bevor sie in den Untergang gerissen werden. Ein schrecklicher Moment, den der Komponist wahnsinnig dicht an uns heranrückt, die Verzweiflung greifbar macht.
Atemloses Schweigen gab es nach der Aufführung am Friedenstag, dann großen Applaus für den für Beermann kurzfristig eingesprungenen Dirigenten Milko Kersten, die Robert-Schumann-Philharmonie, die vielen Chorsängerinnen und -sänger, die beiden Solisten, den anwesenden Komponisten. Zwar war die Stadthalle Chemnitz ein eher uninspirierter Ort für diese Erstaufführung. Umso wichtiger wäre es, „A Foreign Field“ auch einmal in Dresden, in Lukas-, Frauen- oder Kreuzkirche zu hören. Dorthin sind dem Werk übrigens zwei Dutzend riesige, von Chemnitzer Kindern und Jugendlichen bemalte Friedensbanner vorausgereist. Bis letzte Woche zierten sie das Chemnitzer Rathaus, seit gestern hängen sie nun im Dresdner Kirchenschiff und sollen bald weiter durch die Welt ziehen. Vielleicht auch Richtung Ägäis?

Eine Textfassung des Artikels ist am 9. März in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.