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Italienische Nächt sind schnell

gualazzi
Quelle: www.raphaelgualazzi.com

In Italien wird der Straßenverkehr ganz einfach geregelt: Wenn zwei oder mehrere Autos auf eine Kreuzung zufahren und eins davon drosselt das Tempo, dann hat es die Vorfahrt verspielt. Und auch in allen sonstigen Verkehrssituationen gilt: Wer zuerst nachlässt, gilt als Versager. Warum sollte das in der Musik anders sein? Ob Antonio Vivaldi oder Paolo Conte, Giuseppe Verdi,  Vittorio Grigolo oder Gianna Nannini – eine ganz eigene Impulsivität wohnt ihnen inne, da gibt’s keine Hänger, nur Tempo und Kraft auch in sanften Momenten, die ganz an die Seele gehen.

Mit dieser Vitalität des Südens hat nun auch der aus Urbino stammende Musiker Raphael Gualazzi den Jazzclub Tonne – mehr noch als drei Jahre zuvor den Eurovision Song Contest – gestürmt. Ein Mann mit Verve, mit Prosecco in den perlenden Fingern und reifem Barolo im Herzen. Was bei anderen vielleich Herzschlag ist, scheint bei ihm ein Zwölfzylinder im Zeichen des Cavallo rampante zu sein. Brünstiger Sound, rasanter Anzug und schier unermesslich schnelle Geschwindigkeiten. Dazu muss Gualazzi freilich nicht über die Serpentinen des Appennin düsten, ihm genügt die Klaviatur eines Flügels, die schonungslos aufgerieben wird. Läufe wie die der Ragazzi, wenn es kostenloses Schokoeis mit Himbeermund gibt. Akkorde, als würden Ätna und Vesuv Hochzeit feiern. Spielerischer Witz in der Art, wie jahrelang über Berlusconi und den bajuwarischen Papst gelästert worden ist. Kurz: Raphael Gualazzi ist ein Meister aus dem Hause Peppone & Co. Sein Augenzwinkern kommt tief aus dem Herzen und berührt das Auditorium auch genau dort. Seine Lieder tönen bis nah an italienische Schnulzigkeit ran, um kurz davor rasch den nächsten Abzweig zu nehmen und die Oper tüchtig in den Jazz einzutauchen. Da er wie beinahe alle Italiener fast vorbehaltlos Amerika liebt, geht er natürlich auch dem alten Blues an die Wurzeln, verrührt ihn mit sattem Swing und macht doch etwas Eigenes daraus. Italowestern waren schließlich auch etwas anderes als „Rauchende Colts“. Wenn Gualazzi an Standards geht, werden die Standards zu Gualazzi. Sogar wenn er seine Landsleute zitiert – ganz solistisch etwa Nino Rota, dessen Themenmusik zu „Amarcord“ lustvoll schwelgerisch wie auf dem Corso vorgetragen wurde –, ist da ein Hauch Unnachahmlichkeit beigelegt. Die immergleich stolzen Blicke am Strand oder auf der Piazzetta sind ja auch jeder ein anderer. Im Gegensatz zu den Szenen auf venezianischen Gondeln, wo die zunehmend vom Balkan oder aus Russland stammenden Heldentenöre sich allzu gern ausschließlich in die hübsch umwölbten Herzen der Damenwelt singen wollen, trifft der Gesang Gualazzis auch die begleitenden Mannsbilder. Mit der rauhen Wucht einer Whiskystimme gibt er den Casanova, als falsettierender Höhenflieger mimt er den Liebling der Schwiegermütter. Und sein Blick dürfte sogar römische Carabinieri sanft stimmen, falls man mal einen Klaviertransporter auf dem Campo dei Fiori falsch geparkt haben sollte.

Was hat das alles mit Verkehr zu tun? Nun, Raphael Gualazzi bewegt sich stets auf der Überholspur, wie’s scheint. Dabei reißt er nicht nur die begeisterte Hörerschaft mit, sondern auch seine erzmusikantischen Mitstreiter. Um ja nicht zu versagen, werden gemeinsame Tempi angestimmt, die keiner Straßenwacht standhalten würden. Und wenn es mal vor einer emotionalen Doppelkehre leicht ans Ritardieren geht, dann bremsen sich Schlagzeuger Max Castri ebenso flott ein wie Luigi Faggi an Trompete und Flügelhorn sowie der klassischen und elektronischen Bass spielende Ema Otu. Nicht minder flott und komödiantisch spurten sie gleich darauf wieder los in Richtung Rasanz. Auch nach gut zwei Stunden Spieldauer war bei diesem Quartett kein Nachlassen spürbar. Wo diese Jungs aufkreuzen, da wird ihnen die Vorfahrt garantiert eingeräumt werden.