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Ende einer unverständlichen Strauss-Abstinenz

Keine Frage, von Dresden aus fanden die Erfolge des vor 150 Jahren geborenen Richard Strauss sehr schnell ihre Wege auch an die die bedeutenden Opernhäuser östlich von Elbe und Neiße. Wahre Strauss-Orgien müssen sich einst in Prag, im ehemaligen Neuen Deutschen Theater, der heutigen Staatsoper, oberhalb des Wenzelsplatzes, neben dem Museum, abgespielt haben.  »Salome« wurde schon im Mai 1906, wenige Monate nach der Dresdner Uraufführung unter der Leitung von Leo Blech dort mit Erfolg inszeniert; keine andere Oper von Strauss wurde fortan so oft in Prag aufgeführt. Weitere Einstudierungen folgten mit dem Dirigenten Alexander Zemlinsky 1913 und 1920. Insgesamt feierte »Salome« in Prag zehn Premieren, immer prominent besetzt am Pult und in den Hauptpartien, Richard Strauss selbst dirigierte seinen Welterfolg dort 1922, der junge George Széll stand 1933 am Pult in Prag.

Am erfolgreichsten war bisher die Produktion von 1966: sie wurde 48 Mal gespielt, und so bekannte und berühmte Sängerinnen wie Anja Silja, Ursula Schröder-Feinen, Colette Lorand, Margaret Tynes und Felicia Weathers gastierten in der Titelpartie. Bislang letztmals gab es 2009 konzertante Aufführungen mit Eva Urbanová; der Dirigent war Tomáš Netopil.
 Ähnliche Geschichten ließen sich von weiteren Strauss-Opern berichten. In der letzten Zeit aber gab es bis auf einen »Rosenkavalier« vor etwa zwanzig Jahren am Nationaltheater und der erwähnten konzertanten Aufführung keine weiteren Strauss-Opern an der Moldau.

Strauss an der Weichsel hat dagegen ganz großen Seltenheitswert. Soweit mir bekannt, gab es lediglich im Oktober 1907 im Warschauer Teatr Wielki die Premiere der »Salome«. Die Strauss-Tradition blühte hingegen in Wroclaw, am damaligen Stadttheater Breslau, dem heutigen Opernhaus der Kulturhauptstadt Europas im kommenden Jahr, in dem es auch die 70. Saison der Oper zu feiern gilt. Zehn Premieren der Opern »Salome«, »Elektra«, »Die Frau ohne Schatten«, »Der Rosenkavalier« und sogar »Intermezzo«, dazu Choreografien der Ballette »Josephslegende« und »Schlagobers«, zwischen 1906 und 1924. Hier ist es die musikalische und künstlerische Leiterin des Opernhauses, die Dirigentin Ewa Michnik, die diese Tradition ihres Theaters wieder beleben möchte.

Der Einstieg war vor zwei Jahren gelungen, trotz aller Skepsis: wer das Megawerk »Die Frau ohne Schatten« in Dresden vermisst, dem sei eine Fahrt nach Wroclaw empfohlen, wo es nach über 90 Jahren wieder regelmäßig auf dem Spielplan steht. Zum Ende des Strauss-Jahres 2014, ab 13. Dezember, wird es hier auch wieder einen »Rosenkavalier« geben, dessen Polnische Erstaufführung 1922 auf eben dieser Bühne stattfand. Am Pult steht selbstverständlich die Chefin der Oper Wroclaw selbst.

Verblüffende Impulse aus Warschau

Die polnische Hauptstadt knüpft in diesem Jahr da an, wo es mit Strauss vor 107 Jahren begann. In einer Koproduktion mit dem Prager Nationaltheater in der Staatsoper, dem Ort der Prager Strauss-Traditionen, hat der künstlerische Leiter der Warschauer Nationaloper, Mariusz Treliński, mit einem internationalen Team die »Salome« inszeniert. Wer die polnische Opernszene kennt, weiß, dass vom künstlerischen Direktor der Warschauer Nationaloper immer wieder ungewöhnliche, am Ende oft verblüffende Impulse ausgehen, was seine Sicht auf Werke, die man zu kennen meint, angeht. Von seiner Inszenierung der »Madama Butterfly« war einst Plácido Domingo so begeistert, dass er diese Produktion für zwei Jahre an die Washington National Opera holte.

Jetzt hat er »Salome« als eine Art Kopfkino der traumatisierten Prinzessin inszeniert, verstörend, rätselhaft, aber letztlich verblüffend logisch mit der Hauptidee, dass es diesen Propheten Jochanaan gar nicht gibt, dass er eine Schöpfung der Fantasie der Salome ist. Mit der in Dresden ausgebildeten Sängerin Gun-Brit Barkmin kann man derzeit in Prag eine vor allem in der Darstellung grandiose Prinzessin von Judäa erleben.

Mit einer Neuinszenierung der »Salome« möchte auch das Nationaltheater in Bratislava, wo einst auch der Meister selbst im Historischen Theater am Pult stand, seine lange Strauss-Abstinenz beenden. Die jüngste Premiere im Strauss-Reigen des Jubiläumsjahres und bislang letzte in Sachen »Salome« führte mich vor wenigen Tagen nach Bratislava. Hier ist man an eine launige Bemerkung von Strauss selbst erinnert, der das Werk als»Scherzo mit tödlichem Ausgang« bezeichnete. Irgendwie wird es in der »Salome« immer mehr oder weniger unfreiwillig komisch. Das muss schon zur Dresdner Uraufführung 1905 so gewesen sein, denn mit der hochdramatischen Sängerin Marie Wittich war an einen Tanz der sieben Schleier nicht zu denken. So kam man auf die Idee des Tanzdoubles. Das ist heute selten geworden; aber auch heutige Salome-Sängerinnen kommen nicht vom Broadway! So sieht man mitunter bestenfalls lasziv gemeinte Andeutungen bewegter Hüften, mehr nicht. Da kann auch die neue Inszenierung des Slowakischen Nationaltheaters in Bratislava auf der großen Bühne des neuen Theaters nicht so recht punkten. Schade eigentlich, denn mit Jolana Fogašová steht eine Sängerdarstellerin für die Titelpartie auf der Bühne, wie man sie sich nur wünschen kann. Das tätowierte Früchtchen mit Schmollmund oder Trotzschnute ist daran gewöhnt, alle Wünsche erfüllt zu bekommen. Weil die verzogene Göre offensichtlich alles hat, dazu die Nase gestrichen voll vom höfischen Gelaber, ertönt die Stimme des geheimnisvollen Typen aus der Tiefe dieses Welttheaters auf wackeligen Bühnenbrettern gerade recht, und schon wittert die Prinzessin ein neues Abenteuer.

Heute würde man meinen, dieser asketische Heilsverkünder Jochanaan ist ein gefährlicher Systemkritiker; sein religiöser Eifer weist in Richtung Terrorverdacht. Somit ist er für die einen ein Scheusal aus dem Bilderbuch politischer Nachrichtendienste, für andere ein Objekt der Begierde. Für einen Regisseur ist es nicht leicht, sich für eine Variante der Erzählung dieses Stoffes zu entscheiden. Die Exotik flirrender Farben des Nahen Ostens, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts in Mode war, mag heute nicht mehr in gleichem Maße zu begeistern.
Die historischen Anklänge in Anlehnung an die biblischen Motive im Hinblick auf die verschwimmenden Situationen einer weltgeschichtlichen Zeit des Umbruchs verblassen angesichts der noch immer virulenten Umbrüche und deren Nachwirkungen aus dem 20. Jahrhundert. Offensichtlich stehen wir am Beginn des 21. Jahrhunderts erneut vor den Herausforderungen einander sich bekämpfender religiöser und ethischer Unvereinbarkeiten. Die Flunkerei von Richard Strauss mit dem tödlichen „Scherzo“ im Hinblick auf seine »Salome« hat neuen Ernst bekommen. Das Drama vollzieht sich ganz vorn, ganz nahe an der Rampe des Welttheaters, die Protagonisten stehen schon mit einem Bein über dem Abgrund, überm garstigen Graben der Geschichte, aus dem jene Musik aufsteigt deren trügerische Verführungsmelodik nichts an Kraft verloren hat, deren kleingeistiges Gemecker nicht den Rausch der Überwältigung aufhalten kann und deren klagende Töne der Einsamkeit am Ende wieder mal ein Kind zurück lassen, das trägt die Schuld, das muss geschlachtet werden, dieses Tier, dieses Ungeheuer, namens Salome.

Unbedingt nötige Erweiterung des Repertoires

Gegen die Klangpräsenz dieser Aufführung unter der Leitung von Friedrich Haider mit dem Orchester des Slowakischen Nationaltheaters, das sich während der Aufführung deutlich steigerte, kommen die szenischen Ideen des Regisseurs Hans-Joachim Ruckhäberle nur bedingt an. Mitunter beschränkt er sich auf die Organisation von Anordnungen der Solisten, als wohnte man einer konzertanten Aufführung bei. Zum anderen kann er mit konzentrierten Szenen Akzente setzten, die sonst oft verloren gehen. So sind in Ruckhäberles Sicht die fünf diskutierenden Juden keine gefährlichen oder gar albernen Karikaturen, sondern ernstzunehmende, diskutierende Menschen. Mit einem Sänger wie Jan Vacík in der Rolle des Herodes lässt sich ein so verschlagener wie gewiefter König inszenieren, der seine Märchenbuchkrone mit der absurden Verschmitztheit eines
Lustspiel-Königs Peter von Georg Büchners Gnaden trägt. Machtgier, Egoismus und Berechnungskunst zeichnen Denisa Hamarová als Herodias aus; Tochter Salome, als Früchtchen wahrlich nicht weit vom Stamm gefallen, dürfte ihre wirkliche Konkurrenz sein. Wie ernst ein Prophet mit den oratorischen Tönen eines Jochanaan wirklich zu nehmen ist, kann diese Inszenierung auch nicht eindeutig klären.

Mit Anton Kermidtchiev erlebt man hier einen Charakterbariton mit heldischen Tönen. Für den Tenor Tomáš Juhás mit seiner zu Herzen gehenden Liebesverzweiflung als Narraboth ist kein Platz in dieser Opernwelt.
Und eigentlich ist hier ja auch kein Platz für die Salome der Jolana Fogašová mit ihrem erstaunlichen Rollendebüt. An dramatischer Kraft fehlt es ebenso wenig wie an lyrischer Feinheit. Gelegentliche Ausflüge in die leichteren Gefilde des Klanges der Soubrette kommen der charakterlichen Differenzierung dieser Partie sehr zugute.
So klingt in Bratislava das Richard-Strauss-Jahr aus mit einer Neuproduktion der »Salome«, die ganz im Sinne des Operndirektors und Chefdirigenten des Slowakischen Nationaltheaters, Friedrich Haider, einmal im Sinne einer unbedingt nötigen Erweiterung des Repertoires zu sehen ist, zum anderen aber auch als längst überfällige Beendigung einer unverständlichen Strauss-Abstinenz in Bratislava. In diesem Sinne darf man sich auf eine weitere Entdeckung zum Ende der aktuellen Saison freuen, wenn Haider Ermanno Wolf-Ferraris ganz selten zu erlebende Oper »I gioielli della Madonna« auf die Bühne bringen wird.

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