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Von Schleudertrauma keine Rede

Der Librettist Hugo von Hofmannsthal verstarb über der Überarbeitung der »Arabella«. Vielleicht mit ein Grund, warum das Publikum gegen Ende gegen Langeweile kämpfen musste? (Fotos: Matthias Creutziger)
Der Librettist Hugo von Hofmannsthal verstarb über der Überarbeitung der »Arabella«. Vielleicht mit ein Grund, warum das Publikum gegen Ende gegen Langeweile kämpfen musste? (Fotos: Matthias Creutziger)

Wenn jeden Tag zehn neue Rechnungen kommen, das Glück im Spiel aber ausbleibt, ist es vorbei mit dem unbesorgten Leben im schönen Wien. Um dem großen Knall irgendwie zu entkommen, zieht Graf Waldner mit seiner Familie in ein Nobelhotel. Hier hofft er seinen Status noch etwas wahren zu können und gleichzeitig mit der schönen Tochter Arabella einen reichen Mann zu ködern. Damit die kleine Schwester Zdenka fashionseitig nicht zuviele Extrakosten verursucht, wird sie als Mann verkleidet, das Foto der Arabella per Post an den alten Armeekumpel Mandryka verschickt: Ein Sugardaddy muss her, um die gräflichen Schulden zu begleichen!
Dass dann der Neffe des verstorbenen Freundes der schönen Tochter auch sofort zusagt, sie all ihre Wiener Werber links liegen lässt und nur noch Augen für den slawischen Alleinerben hat: das funktioniert wohl nur in der Oper. Das Stück könnte nach dem ersten Akt mit einem Happy End vorbei sein. Es braucht dann aber doch seine dreieinhalb Stunden, bis die Figuren durch die Strauss’schen Klangfluten hindurch endlich zueinander finden und auch die kleine Schwester auf Ihre Kosten kommt.

Angekündigt wie ein großer Festakt war die Koproduktion der Semperoper mit den Salzburger Osterfestspielen, und weil der Semperopernfan bekanntlich alles liebt, was glitzert, was sich dreht oder jubelt, die Premiere seit Monaten ausverkauft. Es hätte wahrscheinlich gar kein Bühnenbild mehr gebraucht bei so viel Selbstinszenierung des Publikums, das schon vor Beginn des ersten Aktes fleißig im Foyer vorglühte. Küsschen links, Küsschen rechts. Als sich endlich der Vorhang für die letzte Oper des Künstlerduos Strauss/Hoffmansthal hob, war die Stimmung im Haus entsprechend aufgewärmt.

Anja Harteros übernahm die Rolle von Renée Fleming, die die Premiere bei den Salzburger Osterfestspielen gesungen hatte.
Anja Harteros übernahm die Rolle von Renée Fleming, die die Premiere bei den Salzburger Osterfestspielen gesungen hatte.

Mit dem ersten Ton zog die Staatskapelle unter der Leitung von Christian Thielemann in den Bann – eine unglaublich genaue und doch gefühlvolle Arbeit! Sofort ist ein Bild im Kopf gezeichnet: so sieht es aus, das schon leicht heruntergekommene KuK-Wien. Das Bühnenbild stört dann zumindest erstmal nicht: Die Räume einer Hotelsuite fahren wie auf einem Fließband hin und her und eröffnen schöne Perspektiven. Diese Konstruktion von Martina Sega bietet genug Platz für die Sänger, wenig Ablenkung. Auch die Kostüme von Anna Sofie Tuma bleiben klassisch und unterstreichen das Standing der Figuren in der höfischen Gesellschaft dezent, aber genau. In leicht heruntergekommenen fürstlichen Verhältnissen nimmt die Verwechslungskomödie ihren Lauf.

Gabriele Schnaut eröffnet den Reigen als Gräfin Adelaide, Jane Henschel in der für sie fast schon understatementhaften Rolle der Kartenaufschlägerin, schließlich Arabella selbst: Anja Harteros, die bei der Generalprobe von einem Schleudertrauma fast aus der Bahn geworfen wurde. Davon war bei der Premiere nichts mehr zu merken; sie überwältigte sofort mit Wiener Charme. Ihre Arabella ist eine Erscheinung, eine Lichtgestalt, sie überwältigt mit Wiener Charme, und singt die Partie mit einer unglaublichen Leichtigkeit, vom gefühlvollen Piano bis zu bestimmend akzentuierten Fortissimi, in denen sich ihre Stimmgewalt mühelos über das üppig besetzte Orchester legt, wie ein Seidenschal.

5298_ArabellaIn Salzburg hatten die Jungstars Hanna-Elisabeth Müller (als Zdenka) und Daniel Behle (Matteo) mit ihren Rollendebüts den leicht indisponierten Altstars Renée Fleming und Thomas Hampson noch spielend die Show gestohlen. In Dresden verschoben sich nun die sängerischen Glutpunkte: spätestens im Schwesternduett des ersten Aktes hatten sich Müller und Harteros gemeinsam in die Publikumsherzen gesungen. Fast verblasste Daniel Behle vor diesen Mega-Frauen voller Energie; hielt allenfalls solide die Stellung, konnte aber keine Stellungsvorteile mehr herausspielen. Immerhin, Behle punktet in den Leidensbekundungen des hemmungslos in Arabella verliebten Offiziers mit selten gehörter Sprachverständlichkeit. Die jugendliche Rolle gelang ihm ohne Gebrüll und Pathos – verzweifelt, jugendlich, lebensnah. Und Thomas Hampson? Der Mandryka , diese poltrige Landgrafen-Attitüde, das liegt ihm, stimmlich blieben diesmal keine Wünsche offen, auch spielerisch war Hampson mit Abstand der beweglichste Charakter.

So wenig die statische, in der Personenführung allzu schwerfällige Inszenierung von Florentine Klepper im ersten Akt störte, so ging sie doch dem Publikum im Lauf des Abends immer mehr gegen den Strich. In Kleppers „Fliegendem Holländer“ hatte ich noch das Gefühl, die Fantasien der kleinen Senta mitsamt Psychoanalyse auf der Bühne machten irgendwie Sinn; nun jedoch wirkte die stumme Rolle der kleinen Arabella aufgesetzt. Der Maskenball im zweiten Akt: eine Farce. An den Haaren herbeigezogen wie der Bär, der auf der Bühne von links nach rechts geschleift wurde. Da hilft auch Schnitzlers Traumnovelle im Programmheft nichts. Die ganze Szene erscheint seltsam plattgedrückt und desorientiert – von Rätselhaftigkeit keine Spur: Was Stanley Kubrick in „Eyes Wide Shut“ großartig fotografierte, schafft Florentine Klepper in ihrer Arabella ebenso großartig zu vermasseln. Schade für den von Wolfram Tetzner genauestens einstudierten Staatsopernchor, der stimmgewaltig die Szene mit Leben füllen könnte, in Kleppers Inszenierung aber nur im Weg rumsteht. Der Auflösungs-Akt ist nur eins: langweilig. So trugen die großartigen Stimmen und die bis zum Schluss hochmotivierte Staatskapelle durch den Abend. Thielemann scheint alles aus dem Orchester geholt zu haben, jede Note soll gespielt worden sein, jede Nuance im Legato herzzerreißend, jedes Solo ergreifend. Die Tutti von einer selten gehörten Homogenität. Die enteracte-Musik nach dem zweiten Akt vor schwarzer Bühne ist auskomponierte Pornographie, wieder Bilder im Kopf, ohne dass es noch etwas braucht. Überhaupt versteht man an diesem Abend die Bezeichnung „Klangkörper“ besser: es ist ein riesiges Instrument, mit dem Thielemann sehr präzise umgeht.

Beim grandiosen Schlussapplaus der Gedanke: für zwei Abende wurde diese Riesenkulisse von Salzburg nach Dresden gekarrt, die Inszenierung und das Bühnenbild überarbeitet, die All Stars eingekauft? Hier wäre sie gewesen: die Chance, das Publikum von nah und fern über Tage, ja Wochen nach Dresden zu locken!

Auch die zweite und letzte Vorstellung der Saison am 10. November ist ausverkauft.

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