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„Den Funken von 1989 neu entfachen“

Der ECHO Klassik gerierte sich 2014 nachdenklicher, politischer, weniger glatt-glamourös (Screenshot ZDF-Mediathek)
Der ECHO Klassik gerierte sich 2014 nachdenklicher, politischer, weniger glatt-glamourös (Screenshot ZDF-Mediathek)

Der 3. Oktober, der 9. Oktober, der 9. November. Daten deutscher Geschichte. Längst steht das Vierteljahrhundert aller aus dem Ende des Kalten Kriegs erwachsenden Hoffnungen im tiefdunklen Schatten des 11. September. Jahreszahlen zu diesen Daten braucht es nicht. Wir wissen alle, was damit gemeint ist.

Der 26. Oktober 2014, so viel stand zu befürchten, würde sich in diese Reihe nachdenklich stimmender Daten nicht einreihen lassen. An diesem Sonntag haben sich in München die Preisträger des Deutschen Musikpreises ECHO Klassik versammelt. Auf Initiative von Jan Vogler, dem Künstler mit Weltgeltung, dem Cellisten aus Berlin mit Wohnsitzen in Dresden und New York, dem Intendanten der Dresdner Musikfestspiele und des Moritzburg-Festivals, wurde es diesmal nicht nur eine gefällige Feierstunde der Musikindustrie. Jan Vogler hatte „Im Geiste der Musik“ eine Initiative gestartet, die als Aufruf der Echo-Klassik-Preisträger 2014 den „Götterfunken“ von 1989 wieder anfachen soll.

Die mit dem Ende des Kalten Krieges und mit dem Berliner Mauerfall verbundenen Hoffnungen, die „Werte des humanistischen Erbes und der Musik“ müssten wieder verteidigt und gelebt werden, fordert der Künstler in seinem auch von weiteren Preisträgern unterzeichneten Appell. Angesichts der zahllosen Konflikte und Kriege machen sich die Künstlerinnen und Künstler – darunter Anne-Sophie Mutter, Anna Netrebko und Frank-Peter Zimmermann – Sorgen um den Zustand der Welt. Vor 25 Jahren sei der Gedanke der Verbrüderung der Menschen wie ein „Götterfunke“ um die Welt geflogen, formuliert es Vogler in seinem Aufruf. In der Welt der Musik habe sich seitdem eine globale Gesellschaft gebildet. Doch „der Verlust von Grundwerten wie Toleranz und Verständigung unter den Menschen schreitet in der Welt mit erschreckendem Tempo voran“, prangert der Musiker Fehlentwicklungen wie „Nationalismus, Intoleranz, Konfrontation, Unterdrückung, Gewalt, Hass und Vergeltung“ an.
„Politische Spannungen werfen selbst in Europa sichtbar Schatten des Gespenstes des Krieges in unseren Alltag“, warnt Vogler vor einer fortschreitenden Dehumanisierung und fordert sein Publikum sowie „alle Politiker und Entscheidungsträger in der Welt“ auf, „die Werte des humanistischen Erbes und der Musik auch im Leben zu verteidigen und zu leben.“

Einem Satz wie „Möge der ‚Götterfunke‘ von 1989 wieder angefacht werden und diesmal seinen weltweiten Siegeszug antreten“ ist nichts hinzuzufügen. Außer dem Hinweis vielleicht, dass er just am selben Tage fiel, an dem das Bundesverfassungsgericht beinahe widerspruchslos die deutsche Demokratie ausgehebelt hat. Indem juristisch festgestellt wird, dass die Bundesregierung ihre Entscheidungen über Rüstungsexporte (Waffen in Krisenregionen sichern deutsche Arbeitsplätze sowie das Bruttoinlandsprodukt!) auch weiterhin im Geheimen, also am demokratisch gewählten Parlament vorbei treffen darf, finden wir uns in einer lobbyistischen Diktatur wieder, in der moralische Grundsätze mit Stiefeln getreten werden. Umso wichtiger ist diese Initiative von Jan Vogler und seinen Mitunterzeichnern. Den Echo-Klassik-Preis erhält der Cellist übrigens für seine Einspielung der Cello-Suiten von Johann Sebastian Bach. Kann, wer diese Musik verinnerlicht hat, Bomben bauen? Frau von der Leyen, überlegen Sie?

Die Echo-KLASSIK-Gala 2014 ist in der Mediathek des ZDF abrufbar. Anne-Sophie Mutter widmet ihren ECHO Menschen, die ihre Zeit, ihr Leben für die Menschheit opfern (ab ca. 29:45 min.)