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Leben im Schnelldurchlauf

Einundzwanzig ist Peter Ronnefeld, als er für die Sommerakademie des Salzburger Mozarteums 1956 eine Kammeroper schreibt. Ein rasantes Stück, unbekümmert in den musikalischen Mitteln: kompositorisch borgt Ronnefeld hier und dort, atonale Schräglagen werden durch kleine Rezitative im Mozartschen Stil entschärft. Im Gedächtnis bleibt diese teuflische Geschwindigkeit! Keine Drechseleien, kein Innehalten, alles zack-zack-zack, bis die Sänger ins Schwitzen geraten.

Ronnefeld lebte, wie er komponierte: im Schnelldurchlauf. Nur wenige konnten mit ihm Schritt halten. Mit sechs die ersten Kompositionen, mit neun trat er bereits als Pianist auf. Begann mit fünfzehn ein Studium bei Boris Blacher, durfte als Stipendiat der Studienstiftung zu Messiaen nach Paris reisen. Mit zwanzig hat er den ersten Lehrauftrag am Mozarteum. Heiratet eine Kollegin, das erste Kind. Scheidung, Heirat einer weiteren Kollegin, zwei weitere Kinder. Arbeit unter Karajan, unter Harnoncourt. Opernchef, zweite Oper, erstes Ballett. Generalmusikdirektor. Zack, zack, zack.

Foto: Matthias Creutziger
Foto: Matthias Creutziger

Die kleine „Opera piccola“, die nun in Semper 2 fast fünfzig Jahre nach Ronnfelds frühem Tod ihre deutsche Erstaufführung feierte, ist vielleicht weniger als Opus per se interessant. Ihr Libretto ist so witzig wie harmlos: Journalisten, die ihre „News“ heimlich selber inszenieren, um die Auflage zu steigern; ein paar süffisant zugespitzte Generationskonflikte, kleine Liebeleien unter Freunden: fertig ist die Laube. Diese Kurzoper macht sofort Lust darauf, mehr zu hören von diesem Tausendsassa Ronnefeld, mit seinem Gefühl für Tempi, das der Dirigent Ekkehard Klemm, Regisseur Manfred Weiss und die Dramaturgin Anne Gerber klugerweise nicht bändigen oder beschönigen, nicht verklausulieren, sondern unverstellt in Szene setzen. Arne Walther baut den Sängern ein übergroßes Pop-up-Comicbuch, mit Nina Reichmann (Kostüme) schafft er eine Dick-Tracy-Atmosphäre, die – wie auch manche Passagen im kleinen Orchester – eher an die Dreißiger- denn die Fünfzigerjahre erinnert. Die Musiker der Giuseppe-Sinopoli-Akademie der Staatskapelle sitzen halbsichtbar hinter der Bühne, vor ihnen schnurrt das Großstadtleben ab. Aus dem tollen Sängerensemble ragt in jedem Sinne der Amerikaner Evan Hughes hervor: als bass-stimmige Vermieterin Emma Becker brilliert er gesanglich wie mimisch. Begeistert juchzt das Publikum beim Auftritt der „Zweimeter-Frau“, die Oscar Wilde nicht besser erdacht haben könnte. Patrick Vogel, Lothar Witzlaff, Christopher Tiesi und Jennifer Riedel singen in den Szenen, die das Herz erwärmen oder das Blut gerinnen lassen.
Verdammt, was hätte aus Karajans vielversprechendem Assistenten Ronnefeld noch alles werden können. Ein quicker, lebensbejahender, musikalisch nahbarer Komponist? Später vielleicht gefeierter Chefdirigent am Opernhaus seiner Geburtsstadt Dresden? Stattdessen – Stop-Taste. Krebs, Krankenhaus, aus. Wir müssen uns mit dem Frühwerk begnügen.

Eine Textfassung des Artikels ist in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.

„Nachtausgabe“, weitere Termine: 10., 26., 28., 29. Oktober, jeweils 19 Uhr; 11. Oktober, 16 Uhr.