Scroll Top

Sommerabend am Bildschirm

Immer wieder ein hintersinniges Vergnügen bereitet Jiří Kyliáns Choreografie »Sechs Tänze« aus dem Jahre 1986 zu den Sechs Deutschen Tänzen KV 571 von Wolfgang Amadeus Mozart. Ob es die Staubwolken sind, die aus den Perücken der Tänzer stieben, ob es die augenzwinkernde Hommage an die Zeit des Barock oder des Rokoko ist, dem Humor dieser grandiosen Abfolge von sechs Nonsensstücken wird man sich kaum entziehen können. Kylián hatte die Kostüme selbst entworfen, derbe Röcke für die Tänzerinnen, Kniebundhose für Tänzer bei freien Oberkörpern, dazu besagte Perücken. Der Choreograf selbst nannte seine Bekleidung für die vier Tänzerinnen und die vier Tänzer „Mozartische Unterwäsche“, und der Betrachter liegt nicht falsch, wenn er meint, dass es in den Tänzen auch darum gehe, was sich unter dieser Wäsche regt und er sich erinnert an die so derben wie dreisten Briefe, die Mozart an das „Bäsle“ geschrieben hat. Das ist getanzter Spaß mit doppeltem Boden! Ein Kritiker sagte damals: "Was Kyliàns Arbeiten so wundervoll macht: niemals ist etwas einfach nur so, wie es zu sein scheint."

Die Choreografie »Sechs Tänze« findet sich mit weiteren Arbeiten von Jiří Kylián für das Nederlands Dans Theater auf einer DVD von ARTHAUS MUSIK, mit Arbeiten die im Zeitraum von 1986 bis 1991 für diese Ausnahmekompanie entstanden sind und auch in der Aufnahme von ihren Solistinnen und Solisten getanzt werden. Eigentlich gehört »Sechs Tänze« auch zum Repertoire des Semperoper Ballett, und eigentlich wäre es mal wieder an der Zeit, diesen Spaß zu präsentieren, vor allem, wenn man daran denkt, welch prächtige Tänzerinnen und Tänzer, gerade auch wenn es um den Humor geht, zu dieser Kompanie gehören! Die DVD ist unter dem Titel »Black and White« erschienen. Neben dem burlesken Mozart findet sich auch die berühmte Kreation »Petite Mort« zu seiner Musik darauf, »Falling Angels« zur Musik von Steve Reich, zwei Kretaionen zu Musik von Anton Webern, »No More Play« zu den fünf Sätzen für Streichquartett op.5 und »Sweet Dreams« zu den sechs Stücken für Orchester, op. 6b. Der Eindruck zum Schaffen des 1947 geborenen Choreografen wird abgerundet mit seiner »Sarabande«, dazu spielt Gideon Kremer Bachs gleichnamigen Satz aus der Partita für Violine solo, Nr. 2, d-Moll, BWV 1004. Unter den Tänzern von damals finden sich Namen, die uns heute als Choreografen bekannt sein dürften, oder sollten, wie im Falle von Paul Lightfoot, Johan Inger oder Jorma Elo.

Die folgende Aufnahme ist für mich ein Kleinod neoklassischer Tanzkunst. Sie spielt zwar im Winter, auf der nächtlichen Eisfläche in einem verschneiten Park, aber beim Ansehen dieser bezaubernden Abfolge von Divertissements um einen betörenden, von Steven McRae getanzten »Blue Boy« mit Ensembles, Pas de deux, Pas de trois oder Pas de six, zu Musik von Giacomo Meyerbeer, wird mir einfach warm ums Herz, dazu die erstaunliche Samantha Raine als Blue Girl mit ihren sage und schreibe 28 (!) Fouttés, das ist einfach Wahnsinn.
Man möchte nicht glauben, dass diese Arbeit von Frederick Ashton 1937 vom Vic-Wells Ballet im Sadler's Wells Theatre in London uraufgeführt wurde, man wird nach Kompanien suchen, die heute in der Lange sind, den technischen Ansprüchen gerecht zu werden. Hier ist es das Royal Ballet in Aufnahmen aus dem Royal Oper House, vom November 2004 und vom Dezember 2010. Diese bei OPUS ARTE erschienene DVD bietet aber noch weitere Kostbarkeiten, und für Dresdner Ballettfans eine Möglichkeit Arbeiten von Ashton kennenzulernen, denn soweit mir bekannt gab es hier, mit Ausnahme eines Pas de deux in einer Gala zur Zeit des Ballettdirektors Vladimir Derevianko noch keine Choreografien des britischen Meisters zu sehen.

Zu den Besonderheiten der Aufnahmen dieser DVD gehören u.a. der „Thaïs Pas de deux“ zur gefühligen „Méditation“ von Jules Massenet mit Mara Galeazzi und Thiago Soares. Eine weitere choreografische und tänzerische Meisterleistung ist die Kreation »Five Brahms Walzes in the Manner of Isadora Duncan« mit Tamara Rojo, die mehr als nur eine Ahnung von dieser Revolutionärin des Tanzes vermittelt, vor allem etwas von ihren Ideen einer erdverbundenen Höhenlust. Ashton selbst hatte 1921, im Alter von 17 Jahren, die Duncan noch tanzen sehen, und hat aus der Erinnerung später wesentliche Facetten der Vielfalt ihrer Stimmungen, ihres Stils, einfließen lassen. Der »Frühligsstimmenwalzer« von Johann Strauss, Sohn, dürfte bekannt sein. Ashtons geniale Choreografie hierzulande weniger, Leanne Benjamin und der kubanische Starballerino Carlos Acosta vom Royal Ballet vollbringen dieses Wunder an dahinfliegender, atemberaubender Geschwindigkeit mit jenen so typischen blitzschnellen Fußvarianten der Tänzerin, ganz leicht von ihrem Partner angehoben, gewissermaßen über dem Boden schwebend durch die Luft eilt.

Etwas neueren Datums ist eine weitere Aufnahme bei OPUS ARTE mit dem Royal Ballet aus dem Royal Opera House, eine Premiere vom 30. September 2013. Auf dem Programm stand an diesem denkwürdigen Abend »Don Quixote«. Das Besondere war, dass Carlos Acosta sowohl als Basilo, das ist ja die eigentliche männliche Hauptpartie, als auch als Choreograf zu erleben war. Der 1973 in Havanna geborene Tänzer bereitet seinen Abschied vom klassischen Ballett vor, künftig will er sich dem zeitgenössischen Tanz zuwenden, vor allem aber möchte er sich der von ihm gegründeten Stiftung »Carlos Acosta International Dance Foundation« widmen mit dem Ziel eine eigene Ballettschule in Havanna zu eröffnen. In seiner Autobiografie, die er mit 35 Jahren vorlegte, erfährt man unter anderem, dass er von seinem Vater, einem Lastwagenfahrer, gezwungen wurde die berühmte Escuelas Nacionales de Arte der sagenhaften Ballerina Alicia Alonso zu besuchen. Zum Glück!, möchte man sagen, wenn man sieht, wie in der vorliegenden Aufnahme auch der 40jährige noch den enormen Ansprüchen dieses Meisterwerkes mit den Choreografien von Marius Petipa gerecht wird. Umwerfend toll an seiner Seite die junge Argentinische Tänzerin Marianela Núñez als flotte Kitri. Acosta beweist zudem bemerkenswertes choreografisches Talent in der Art, wie er die phantastische Geschichte der Episoden aus Leben und Träumen des melancholischen Ritters von der traurigen Gestalt mit den lebensfrohen Tänzen zur Musik von Ludwig Minkus verbindet. Unter der Leitung von Martin Yates lässt das Orchester des Royal Opera House vernehmen, dass die „Gebrauchsmusik“ vielleicht doch etwas besser ist als ihr Ruf, was auch nicht zuletzt an den Arrangements des Dirigenten liegen mag.

Diese Aufnahme aus London ist ein Sommerfest für Auge und Ohr, und wer bedauert dass Carlos Acosta, den man ja auch aus Filmen wie »New York, I Love You«, »¡Hasta La Vista Sister!« oder aus der Dokumentation »Dance Cuba: Dream of Flight« kennt, sich vom klassischen Tanz verabschieden wird, dem sei gesagt, der Nachwuchs ist auf dem Sprung. Und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn in jüngster Zeit lässt Acostas junger Neffe Yonah, derzeit bim English National Ballet, die Herzen der Tanzfans beiderlei Geschlechts höher schlagen; dass er jüngst bei John Neumeiers Nijinsky-Gala, zum Abschluss der Ballettage, seinen Auftritt verpasste tat der Begeisterung keinen Abbruch, denn mit seiner Partnerin, Hamburgs Publikumsliebling Alina Cojocaru, machte er alles wieder wett im Grand Pas de deux aus »Le Corsaire«. Dass man Yonah Acosta auch an die Ballettstange zwingen musste, ist nicht bekannt. Wäre ja auch komisch, mit diesem Onkel als Vorbild.

Nächstens stelle ich zwei hierzulande unbekannte, etwas ältere Tanzkostbarkeiten aus England vor, »Hobson´s Choice« von David Bintley mit dem Birmingham Ballet und als eines meiner liebsten Ballette, »Stil Life an the Penguin Cafe«, ebenfalls in der Choreografie von David Bintley, wobei die Musik vom Penguin Cafe Orchestra vielleicht doch nicht so ganz unbekannt sein dürfte.