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Vom weißen Akt zum grauen Rauschen

Julia Weiss und Ensemble in »Tanzsuite« (Foto: Ian Whalen)

Alexei Ratmanskys Prägung durch das Bolschoi-Theater ist unübersehbar. Die Arbeit, die er jetzt erstmalig für das Ensemble des Semperoper-Balletts geschaffen hat, stellt eine Bereicherung des Repertoires dar. Ratmansky schafft in seiner »Tanzsuite« einen Spagat, indem er Tänzen, deren Ursprünge teils bis ins 15. Jahrhundert zurück reichen, mit seiner persönlichen neoklassizistischen Formensprache eine heutige Gültigkeit verleiht. Die Art und Weise, in der er das tut, ist komplexer, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Die Tänzer sind über weite Strecken asynchron, was durchaus irritieren kann. Dieser Arbeit unterliegt die Welt der Klassiker à la Balanchine unübersehbar, trotzdem sollte man keine Wiederholung tradierter Muster erwarten. Damit fände man keinen Zugang zu dieser Arbeit.
Ratmansky lässt den Tänzern keine Zeit für große Gesten. Manches erscheint nur als Zitat, um danach auf subtile Weise gebrochen zu werden. Bei diesem hohen Tempo kann es durchaus vorkommen, dass man einzelne Spitzen in ihrer Subtilität übersieht. Die acht Teile dieser Arbeit fügen sich dennoch derart organisch ineinander, dass es ein einziger weißer Akt zu sein scheint.

Jiří Bubeníček, Svetlana Gileva (Foto: Ian Whalen)

Den zweiten Teil des Abends bestreitet Stijn Celis, mittlerweile eine feste Größe am Haus, mit einer düsteren »Josephs Legende«. Catherine Voeffray hat für ihn zum wiederholten Mal die Ausstattung übernommen und setzt, ganz ähnlich wie schon in »Romeo und Julia«, farbliche Akzente in den grauen Palast Potiphars (Milán Madar). Dessen grenzenloser Reichtum ist hier schwarz-weiß. Über der Bühne schwebt ein riesiger schwarzer Diamant. Wenn die zum Kauf stehenden Kostbarkeiten vor Potiphar ausgebreitet werden, erfüllt nur graues Rauschen die Bühne.

Potiphar selbst trägt einen Mantel in schwarz und silber und bleibt damit als Person in seinem Reich unsichtbar. Sein Weib (Svetlana Gileva), das ganz in Gold erstrahlt, ist hier als Kratzbürste angesetzt. Nicht genug, dass sie Joseph (Jiří Bubeníček) mit außerehelicher Begierde begegnet. Ihrem Gatten selbst zeigt sie die ausgesucht kalte Schulter. Diese Problematik sinnlichen Begehrens ist auch im Ensemble sichtbar. Einige der unverschleierten Frauen tragen außer Cleopatra-Perücken nur einen Hauch von nichts. Die Riege der Boxer tritt als Anzugträger auf, sie scheinen in flagranti erwischt worden zu sein: Die Krawatte gelöst, das Hemd offen, die Hose fehlt ganz. Die Sockenhalter machen diesen Auftritt komplett. Ein Bild, dass Omnipräsenz der Erotik suggeriert.

So unsympathisch Potiphars Weib von Beginn an wirkt, zeigt sie hier ihre Natternatur eigentlich erst nach der Katastrophe. Erst nachdem sie von Joseph nachhaltig abgewiesen worden ist, bricht sich ihre Frustration Bahn. Celis choreografiert das in deutlich expressiver Geste.

Bevor der rettende Engel erscheint, durchläuft Joseph allerdings noch die Qualen körperlicher Folter. Das Schlussbild entlässt ihn in die überirdische Geste und das Publikum in geradezu unbändige Begeisterung. Ein weiterer Triumph für Bubeníček. Ganz so, wie es zu erwarten war.

Nächste Vorstellungen: 5., 9., 11. Juli 2014