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Unbeirrt vom Lärm der Welt

Foto: Matthias Horn

Ich war mal wieder weg. Nicht weit, in Weimar. Da gab es ja große Veränderungen am Deutschen Nationaltheater. Gute Bekannte aus Dresden in den Spitzenpositionen. Hasko Weber, der von Dresden an das Stuttgarter Schauspiel ging, ist jetzt am DNT in Weimar Generalintendant. Ich denke, etliche seiner Dresdner Arbeiten als Regisseur dürften bei denen, die sie gesehen haben, nicht gänzlich in Vergessenheit geraten sein. Chefdramaturgin am Haus ist jetzt Beate Seidel, die kennen wir doch auch noch vom Staatsschauspiel Dresden und den Operndirektor der Klassikerstadt, Hans-Georg Wegner, auch von seiner Zeit als Dramaturg an der Sächsischen Staatsoper.

Mein Reiseanlass war eine Uraufführung in Weimar. Hier denkt man langfristig. Auf die Dauer von fünf Spielzeiten ist ein Projekt angelegt, bei dem in jeder Saison die Sparten des Hauses, also die Staatskapelle, der Chor, das Opernensemble und die Schauspieler zusammenarbeiten. Nicht einfach so, auch da plant man mit Konzept. Es geht um die Geschichte der Stadt, Mitteldeutschlands und Thüringens, und immer sollen es Projekte sein, die eigens entstehen, in Auftrag gegeben werden und inhaltlich Korrespondenzen möglich machen zu anderen Positionen des Spielplans: „Existenz-Resistenz“, so das Projekt.
Da kann man ja nun wirklich nicht von kurzem Atem sprechen. Das erste Projekt in dieser Reihe kam jetzt auf die Bühne.

Weit geht es zurück in die Geschichte Thüringens. Bis in die Zeit des Bauernkrieges, und ausgehend von den unversöhnlichen Haltungen Thomas Münzers und Martin Luthers im Hinblick auf den Umgang mit ungerechten Herrschaftsformen, hat der in Dresden geborene Lyriker, Essayist und Opernlibrettist Christian Lehnert den Text für dieses Stück geschrieben. Das Stück gehört zu den kulturellen Beiträgen im Rahmen der Lutherdekade im Hinblick auf das 500jährige Reformationsjubiläum 2017. Lehnert, der auch Theologe ist, versucht keinen neuen Thesenanschlag, aber manche seiner historischen Vergleiche schlagen dennoch ganz schön ein. Münzer ist bei ihm nicht der große Revolutionär, er ist auch in seiner fundamentalistischen Interpretation der Heiligen Schrift gefährlich. Er wird durch die Dämonen der Geschichte, die sich auf ihn berufen, zu einem christlich Vorläufer islamistischer Gotteskriegerei. Auf dem Weg dahin finden sich gewollt oder ungewollt in seiner Nachfolge auch Rosa Luxemburg, Karl Marx oder Leo Trotsky.

Luther ist nicht nur der Reaktionär mit seiner Lehre von den zwei Reichen. Wollten Münzer und alle, die ihm folgten, das Himmelreich für den kleinen Mann auf Erden mit Gewalt errichten, sagen Luther und alle die ihm folgen, man solle das irdische und das himmlische Reich nicht verwechseln: Ordnung muss sein, notfalls auch Gewalt, sonst herrscht das Chaos, und davon hat der kleine Mann nun ganz und gar nichts.

Das Stück für großes Orchester, Chor, Sänger und Schauspieler heißt »Vom Lärm der Welt oder die Offenbarung des Thomas Münzer«. Eine Offenbarung ist die Musik des Dresdner Komponisten Sven Helbig, kein Lärm für den Lärm der Welt, eher Klangflächen für das Orchester unter der Leitung von GMD (alles Chefsache, der Regisseur ist Hasko Weber) Stefan Solyom, deren scheinbare Ruhe aber trügerisch ist. Darunter verbirgt sich etwas Beunruhigendes. So gibt es auch sehr bewegte musikalische Szenen mit aufwärtsstrebenden Bewegungen für den Chor. Davon leitet sich das Bühnenbild ab, eine Spirale, eine Treppe, alle wollen hinauf, und es ist paradox, oft führt dieser Weg am Ende tief hinunter.
Helbig nimmt historische Motive der Liturgie auf, den Choral oder das Psalmodieren, vom Oratorium kommentierende Chorpassagen, aus der Oper die klangbildliche Dynamik und die Melodik für die Hoffnungsfigur einer jungen Frau, die ihren Weg geht, unbeirrt vom Lärm der Welt.
In der nächsten Saison geht es weiter mit den spartenübergreifenden Projekten. Die nächste Uraufführung in der Reihe »Existenz – Resistenz« ist für den 20. März nächsten Jahres angekündigt. Angekündigt ist auch, dass man weitere Zusammenarbeit mit Sven Helbig plant.

Der nächste Termin für Weimar steht bei mir im Kalender. Ich will dabei sein, wenn in der Opernpremiere, am 29. Mai, also am Himmelfahrtstag, Jonny aufspielt. Mit dem in Leipzig 1927 uraufgeführten Werk von Ernst Krenek eröffnet das Musiktheater eine auch mehrjährig angelegte Reihe, in der es darum geht, Werke der sogenannten 20er Jahre wieder vorzustellen. Nicht wenige sind ja nach ursprünglichen Erfolgen in die Vergessenheit geraten. So auch Kreneks Oper. Sein Werk galt als entartet, ein schwarzer Jazzbandgeiger namens Jonny, da sprach die Nazipropropaganda von „einer frechen jüdisch-negerischen Besudelung“ und rief die christlichen Wienerinnen und Wiener. anlässlich einer Aufführung in der Staatsoper zu einer Riesen-Protest-Kundgebung auf. Jetzt haben die christlichen Weimaranerinnen und Weimaraner gute Gelegenheit, da etwas gut zu machen.

In der kommenden Saison widmet sich das Musiktheater dann einem Genre, das insbesondere mit den goldenen Zwanzigern des letzten Jahrhunderts verbunden ist, es gibt am 6. März 2015 im Weimarer E-Werk eine Revue von Mischa Spoliansky, der Titel dürfte auch kurz vor Beginn der Zwanziger des 21. Jahrhunderts ziehen: »Wie werde ich reich und glücklich?«. Und auch ein Dresdner Hausgott wie Richard Strauss hat ja in Weimar seine Spuren hinterlassen, so gibt es noch in diesem Jahr, am 31. Oktober, einen neuen »Rosenkavalier« am Nationaltheater. Vera Nemirova inszeniert; der Ankunft dieses Stückes verklärender Vergangenheit in der Gegenwart dürft damit nichts im Wege stehen.

Und noch etwas ist mir aufgefallen. Hasko Weber und sein Team sehen offensichtlich keine Probleme darin, die unvermeidlichen Traditionen und Erwartungen des Weimarer Publikums, vor allem wohl auch der Gäste, zu beachten. Weber stellte sich als Regisseur mit einem neuen »Faust« vor, an Schiller will man in Weimar auch nicht vorbei kommen, das das ganz große Gefühl soll auch nicht zu kurz kommen. In der Oper wird »La Bohéme« neu inszeniert.

Ein bisschen kurz kommt der Tanz. Ob sich so etwas wie jüngst ein Gastspiel der berühmten Stuttgarter Kompanie wiederholen lässt, ist noch nicht sicher. Zum kommenden Kunstfest sind auch Tanzgastspiele angekündigt, aber eine Kontinuität lässt sich da noch nicht feststellen. Vielleicht künftig doch, Kooperationen in Sachen Tanzgastspiele, mit Erfurt? Immerhin sind da die Türen wieder offen, die Maßgabe beim Bau des neuen Opernhauses in Erfurt, die Maße der Bühne so zu halten, dass sie mit denen in Weimar kompatibel sind wegen eines konstruktiven Austausches von Produktionen, waren nicht umsonst. Die Erfurter können demnächst in ihrem Opernhaus, endlich nach zehn Jahren, regelmäßige Gastspiele von Schauspielproduktionen aus Weimar erleben. Los geht´s mit »Faust«; passt doch wie die Faust aufs Auge. Und manchmal, so der Eindruck, passt es auch ganz gut, wenn ein neuer Intendant kommt mit seinem Team. Also, aus Weimar zurück in Dresden, nicht gänzlich ohne Hoffnung für Dresden?

http://www.nationaltheater-weimar.de/de/index/spielplan/stuecke_musiktheater/stuecke_details.php?SID=32