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Ein französischer Sachse singt italienisch in Wien

Maurice Quentin de La Tours Portrait des Moritz von Sachsen, Marschall von Frankreich, hängt in der Gemäldegalerie (Quelle: Wikimedia Commons)

Moritz wurde 1796 in Dresden als illegitimer Sohn Augusts des Starken und seiner Mätresse Aurora von Königsmarck geboren. Als Dreizehnjähriger trat er in das sächsische Heer ein und machte schnell militärische Karriere. Um den fast gleichzeitig geborenen legitimen Sohn Friedrich August III. zu schützen, unterstützte ihn der starke August dabei, seine Erfolge in Frankreich fortzusetzen. 1720 zog Moritz nach Paris, vertrat dort August den Starken offiziell bei der Hochzeit König Ludwigs XV. und folgte seinem Vater auch in dessen Leidenschaft nach amourösen Beziehungen. Die wichtigste des jungen Moritz war die mit der Schauspielerin Adrienne Lecouvreur just nach Ende einer kurzen Ehe. Adrienne gilt als richtungsweisend für die französische Dramatik – vergleichbar mit der Neuberin in Dresden. Ein weiterer prominenter Verehrer Adriennes war Voltaire, der ihr eine Elegie widmete. 
Natürlich gab es im barocken Paris auch Intrigen gegen diese Liaison zwischen dem erfolgreichen Königssohn und des Theater-Stars, zumal Moritz zwischenzeitig auch mit der Fürstin von Bouillon eine Affäre hatte. Als Adrienne 1730 überraschend unter ungeklärten Umständen starb, kochte die Gerüchteküche hoch.

Moritz von Sachsen hatte später weitere Beziehungen. Aus seiner Liaison mit Marie Rinteau ging die Tochter Maria Aurora hervor, Großmutter von George Sand, Freundin des ebenfalls mit Dresden verbundenen Frédéric Chopin. In Paris sind daher im Musée de la vie romantique einige Bilder und Zeugnisse von Moritz, sowie auch (teilweise in Dresden entstandene Bilder) Chopins ausgestellt. Moritz wurde 1747 zum französischen Generalfeldmarschall erhoben und starb 1750 in dem ihm vom französischen König überlassenen Schloss Chambord, das er zuvor auch mit sächsischen Wappen dekoriert hatte. Begraben wurde er übrigens in der Kirche St. Thomas in Dresdens Partnerstadt Straßburg – mit einem eindrucksvollen Epitaph von Pigalle im Chorraum.

Knapp 120 Jahre später schrieb Eugène Scribe (sein Name findet sich im oberen Rundfoyer der Semperoper!) ein Theaterstück über die tödliche Liaison zwischen Moritz und Adrienne, das der italienische Librettist Arturo Colauti für den Komponisten Francesco Cilea (1866-1950) umschrieb. Cilea komponierte diese, seine erfolgreichste Oper in Dresdens italienischer Partnerstadt Florenz. 1902 hatte schließlich die Oper »Adriana Lecouvreur« in Mailand Premiere – mit Enrico Caruso als Moritz von Sachsen. Seitdem ist sie fester Bestandteil der italienischen Opernhäuser. In Deutschland haben Erfurt, Lübeck, Neustrelitz, Freiburg (2010) und zuletzt Frankfurt (2012) das Werk auf die Bühne gebracht.

McVicars Inszenierung nun in Wien

Zahlreiche prominente Aufnahmen sind im Handel erhältlich. Die jüngste stammt aus dem Royal Opera House in Covent Garden und wurde 2010 für DVD aufgezeichnet. In den Titelrollen damals Angela Gheorghiu und Jonas Kaufmann. David McVicar zeichnet für die opulente Inszenierung verantwortlich, die in Kooperation mit dem Liceu in Barcelona, der Opéra National de Paris und der San Francisco Opera nun in geänderter Besetzung in der Wiener Staatsoper herauskam. Eine barocke Theaterbühne gab die prächtige Kulisse für das Drama vor und hinter der Bühne, die mal als Palast glänzte, zum Schluss aber zum leeren Gerüst wurde. Dass McVicar das barocke Theater mit seinem bisweilen holen Pathos nicht ganz ernst nahm, wurde am deutlichsten im Ballett des dritten Akts, dessen dekadente Leichtigkeit schon ins bewusst Lächerliche ging.

Foto: PR

Angela Gheorghiu gab wieder die Adriana. Sie enttäuschte allerdings bei ihrer Auftrittsarie, dem berühmtesten Teil der Oper. Immer einen Hauch zu tief, rieb sich ihre Stimme mit dem Orchester. Glücklicherweise steigerte sie sich stimmlich im Laufe des Abends Schauspielerisch dagegen zeigte sich, wie sehr sie in der Rolle der Adriana aufging. Kokett, verführerisch, mädchenhaft und als Diva, ernst und zum Schluss hochdramatisch reizte sie alle Schattierungen ihrer Rolle wunderbar aus. Elena Zhidkova, den Dresdnern als Venus im »Tannhäuser« in Erinnerung, stahl der Primadonna allerdings die Schau. Als Herzogin von Bouillon und Gegenspielerin Adrianas begeisterte sie mit Verve und stimmlichen Höchstleistungen. Roberto Frontali verlieh dem Michonnet stimmlich wie schauspielerisch anrührende Tiefe in dessen unerfüllter Liebe zu Adriana. Massimo Giordano schließlich gab den Moritz mit strahlend-schönem Belcanto-Tenor. Eindrucksvoll die Schlussszene, als Adriana, vergiftet durch einen Blumenstrauß der Herzogin von Bouillon, in den Armen des sächsischen Moritz stirbt und das Orchesters der Wiener Staatsoper, dirigiert von Evelino Pidò, nach spätromantisch leidenschaftlichen Klängen im Pianissimo aushaucht.

Schmerzliche Lücke in Dresden

Über 15 Minuten dauerte der Beifall für eine Opernproduktion in der Wiener Staatsoper, die auch der Dresdner Semperoper gut zu Gesicht stünde. Denn genau gegenüber, in der Gemäldegalerie Alte Meister, sind zwei Portraits Moritz von Sachsen zu Hause. Bis zur Renovierung wurde der Besucher von dem jugendlichen Moritz im Gemälde von Nauthier empfangen. Ein Aquarell von Quentin dagegen zeigt ihn in der Nähe des berühmten Schokoladenmädchens. Nur wenige Opern haben inhaltlich einen solchen Dresden-Bezug und sind noch nie in Dresden aufgeführt worden. Eine schmerzliche Lücke in der Geschichte der Semperoper, die – Obacht, liebe zukünftige künstlerische Berater des Hauses! – vielleicht bald geschlossen wird.

Christoph Münch