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Ein kluger Außenseiter, ein Stoiker, ein Unikum

Bei einem Vortrag 2010 in Grafenegg (Foto: Matthias Creutziger)

Der Dresdner Musikkritiker Peter Zacher ist tot. Seit langem war er gesundheitlich angegriffen. Wer hat ihn in seinen letzten Stunden begleitet? Hat er Abschied nehmen können von einem bewegten, umtriebig geführten Leben?

Peter Zacher galt in seinen letzten Jahren zunehmend als Unikum. Wo er einstens regelmäßig als Kritiker vor Ort war und in klug argumentierenden Texten über die Konzerte von Philharmonie und Staatskapelle berichtete, da tauchte er nur noch sporadisch auf. Dabei hatte sich der 1939 geborene Wahldresdner doch über Jahrzehnte hinweg ins hiesige Musikleben immer wieder eingeschrieben. Seit 1960 war er in dieser Stadt zu Hause, nachdem er zuvor in Leipzig acht Semester lang Evangelische Theologie und Musikwissenschaft studiert hatte (das Studium brach er wegen fehlender beruflicher Perspektiven ab).

An der Technischen Universität Dresden schrieb sich Zacher für den Studiengang Meßtechnik ein. Eng war er schon damals in die entstehende Singe- und Folklorebewegung der DDR involviert, brachte sein analytisches Denken, das jedes plumpe ideologische Meinen hasste, in konzeptionelle Diskussionen ein. In den sechziger und noch Anfang der siebziger Jahren begleitete er die Arbeit der Folkloregruppe der TU, der Gruppe Pasaremos und Livia Gouverneur Dresden und prägte sie mit. Auch für den universitären Rundfunk begeisterte er sich, rieb sich an vielen Fronten auf, auch dieses Studium brach er schließlich ab.

Er arbeitete fortan als Übersetzer naturwissenschaftlich-technischer Texte, gab Englischunterricht. Einige Zeit lang betreute er daneben die Dresdner Folkloregruppe »Imitos«, ein Ensemble junger Musikanten griechischer Emigranten in Dresden, erarbeitete mit ihr einige Theodorakis-Lieder und focht mit den Mitgliedern manchen Strauß zum Thema Authentizität in der Folklore aus. Einer dieser Musiker, Nikos Kasakis, brachte Peter Zacher 1975 das Theodorakis-Doppelalbum »Canto General« aus Griechenland mit – dies war der Moment, von dem aus "sich mein gesamtes Leben grundlegend änderte", wie Zacher rückblickend Ende 2012 sagte. Sein Interesse für das Liedgut anderer Völker führte schon in den siebziger und den frühen achtziger Jahren zu Buchveröffentlichungen. Gemeinsam mit Horst Irrgang gab er 1978 im Deutschen Verlag für Musik Leipzig das Buch »Din don deine. Lieder der Völker Europas« und im selben Verlag mit Klaus-Georg Jockel Eulitz 1984 das später mehrfach in diversen Verlagen nachaufgelegte »Sing a Song. Lieder der Völker Nordamerikas. Songs of Peoples in North America« heraus.

Ab 1980 schrieb Peter Zacher Rezensionen für Tageszeitungen wie Die Union und die später daraus hervorgegangenen Dresdner Neuesten Nachrichten. Mit vielen seiner pointierten Texte hat er Maßstäbe gesetzt, etwa als er am 30. Juli 1986, nach der zweiten Aufführung der »Elektra«; in der Semperoper (Premiere war am 15. Juli 1986, Regie Ruth Berghaus, Bühnenbild Hans-Dieter Schall, Dirigent Hartmut Haenchen), von einer "Elektrissima" schrieb und damit die bei Rezensenten und Publikum herrschende Begeisterung auf den Punkt brachte (nach Siegrid Neef, Das Theater der Ruth Berghaus, S. Fischer-Verlag, 1989). Mit seinen unverblümt formulierten Urteilen drückte nach der Wende auch dem SAX Stadtmagazin einen wiedererkennbaren Rezensentenstempel auf. Und: er bewältigte den Spagat, auch für die Sächsische Zeitung zu schreiben. Die Konkurrenzsituation der beiden Tageszeitungen interessierte ihn nicht, ihm galt es ausschließlich der Musik und den Künsten. Allzumenschliches war dem freien Geist wahrscheinlich zuwider; wollte er doch mit seinem Eindruck von der Musik am liebsten allein sein und sorgte mit seiner stoisch zelebrierten Gewohnheit, bei den ersten Regungen des Beifalls den Saal zu verlassen, über die Jahrzehnte bei manchem Veranstalter für Irritationen. Indes, Dresden gewöhnte sich daran. Seine Geste war ehrlicher als die vieler Kollegen, minutenlang mit unbewegter Miene im Applausregen zu sitzen.

Beizeiten widmete sich Peter Zacher der Moderne, insbesondere dem Schaffen von Mikis Theodorakis, von dem er mehrere Uraufführungen vorantrieb, die noch zu DDR-Zeiten gelangen. Als Publizist schrieb er für Plattenveröffentlichungen, verfasste er zahlreiche Programmheftbeiträge, unter anderem auch für die Salzburger Festspiele, führte beim Grafenegg Festival durchs Programm und brachte sich auch moderierend in manches Gesprächs- oder Portraitkonzert in seiner Heimat ein, auch hier hintersinnig, in seiner trockenen, aber nicht minder sympathischen Art: Wen er in solchen Situationen duzte, der hatte doch oft zuviel Hochachtung und siezte den verehrten Kritiker zurück. In besonderer Weise widmete er sich jüdischer Musik und den von den Nazis verfemten Komponisten, liebte – das schimmerte durch seine Texte durch – das »Blaue Einhorn«; zeigte sich fasziniert von den ambitionierten Konzerten der Dresdner Sinfoniker und brachte den Chören und Orchestern der Universität, etwa dem Orchester der medizinischen Fakultät, allergrößte Bewunderung für deren Tun entgegen. In Peter Zachers langen, nie belehrenden Texten schwang immer die Achtung vor dem Musizieren mit, die Neugier auf Unbekanntes, schließlich eine ausgefeilte, fundierte Art der Musikanalyse, die heute zunehmend selten geworden ist, weil sie wohl viele auf Unterhaltung setzende Kulturredaktionen schlicht überfordert. Nichts ärgerte ihn mehr als Oberflächlichkeit und Gedankenlosigkeit eines Interpreten oder Dramaturgen im Umgang mit der Musik.

Streitbar, wie er zeitlebens war, wirkte Peter Zacher von 1965 an in der CDU mit, sah in ihr wohl einen Gegenpol zum politischen "Mainstream"; zu einer Zeit also, als es dieses Wort so noch gar nicht gab. Konsequenterweise verließ er diese Partei im Jahr 1990. Damals wurde er Berater der sogenannten Gruppe der 20, bald darauf engagierte er sich für Bündnis 90/Die Grünen im Dresdner Stadtrat, stritt für die Kultur. Viele Jahre lang setzte er sich dort dafür ein, dass nicht nur die sogenannte Hochkultur, sondern auch kulturelle Initiativen aus den alternativen und Randbereichen Unterstützung finden. So ist es wesentlich Zachers beharrlichem Einfluss zu verdanken, dass der Ende 2000 aus den Trümmern der alten »Tonne« wieder auferstandene Jazzclub Neue Tonne nach erster Ablehnung doch noch von der Stadt gefördert wurde. Erst wenige Jahre zuvor, 1998, kritisierte er die kulturellen Ansichten seiner eigene Partei: "Aber Kultur gehört leider nicht zu den bevorzugten Tätigkeitsbereichen dieser Partei, Kultur besteht nicht allein aus den Künsten, sondern auch aus der Art, wie wir miteinander leben." Dieser essenzielle Bereich werde absolut unterbewertet. "Kunst ist keine Kompensation", schrieb er damals in einem Magazin der TU Dresden, "sondern soll – richtig verstanden – zur Emanzipation führen." Klar, dass er damit auch unter (selbsternannten) Kunstfreunden auf große Skepsis stieß. Heute, angesichts der Nachricht von seinem Tod, muss man wohl feststellen: Während viele Kunstfreunde die freie Kunst lieben, aber im eigenen Denken in kleinen Mustern befangen bleiben, war Peter Zacher ein wirklich freier Denker. Wo immer man ihn erlebte, ob im Rathaus, in der Oper oder im einem Konzertsaal, sah man ihn – zumindest in den jüngsten Jahren – als Original, aus Außenseiter, als Unikum. Mag sein, dass er hin und wieder verbittert wirkte; er sah seine Zeit, seine Idole vielleicht, vor allem aber seine Ideale davonschwimmen.

Nun ist er, der von privaten Schicksalsschlägen nicht verschont blieb, gegangen. Einsam und still. Dass im Internet bisher nicht ein einziges Bild von ihm zu finden ist, spricht Bände: Peter Zacher ging es um die Kunst, nicht um Äußerlichkeiten. Viele seiner Kollegen, Weggenossen und sowieso seine Leserschaft werden sich respektvoll vor ihm verneigen.

Michael Ernst, Martin Morgenstern, Mathias Bäumel, Boris Gruhl

Die Trauerfeier findet am Freitag, 14. Februar 2014 um 11 Uhr in der Trauerhalle des Krematoriums Dresden-Tolkewitz statt.