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Alle Jahre wieder…?

Es ist keineswegs so selbstverständlich, wie der Normalo unter den Weihnachtslied-Verweigerern vielleicht meint. Man muss nicht schon Ende August Lebkuchenhäusl erwerben, im September die ersten Silvesterraketen schmuggeln, den Oktober mit „original“ Stollen versüßen, um über den November hinweg misslaunig die um sich greifende Fettleibigkeit zu bejammern; man muss nicht mal glühweinselig durch den Dezember purzeln, nachdem wieder Unmengen von Nadelbäumen gefällt und vor Kanzleramt, Landesfürstenresidenzen, auf Marktplätzen sowie in den Gesindestuben aufgestellt worden sind. Alles kein Muss.

Aber: All das ist möglich und machbar. Hierzulande. Denken wir manchmal auch darüber nach, wie schwierig, ja gefährlich solch Brauchtum anderswo ist? Von Syrien und dem Südsudan zu schweigen, da hat ja schon der großmächtige Außenminister der deutschen Sozialdemokratiererei sein tumbes Wort erhoben – auf dass die Welt den Atem anhält! Nein, ganz im Ernst, die kleinen Steinmeiers mit ihren verbalen Auswürfen werden in den Krisenregionen nicht einmal überhört werden. Man muss sie dort nicht mal ignorieren, sie spielen schlicht keine Rolle.

Gefährdete Weihnacht

Anders verhält es sich mit den wirklichen Musen und mit der Kunst des Gesangs. Da gibt es tatsächlich eine musikalische Brücke aus Dresden nach Kairo. Und die, eine ganz und gar private Initiative, findet Gehör!

Denn so international das Solistenensemble der Semperoper ist, so verschieden sind die Bräuche zu Weihnachten. Die junge Mezzosopranistin Gala El Hadidi beispielsweise verbringt die Feiertage am liebsten in ihrer Heimatstadt Kairo. In Dresden singt sie unter anderem in »Hänsel und Gretel«, ist also meist schon weihnachtlich eingestimmt, lange bevor der Tag der Bescherung naht. Obwohl Gala El Hadidi sich an der Elbe längst zu Hause fühlt, zieht es sie über die Feiertage doch regelmäßig nach Kairo, in ihre Geburtsstadt, hin zu den Eltern. Auch da ist die Sängerin Sängerin und will jedes Jahr auf der Bühne stehen – mit einem eigenen Weihnachtskonzert im Opernhaus der Millionenmetropole.

Kurz vor ihrer Abreise hat sie vorfreudig erklärt: „Das ist jetzt mein achtes Mal, dass ich so ein Konzert an der Oper ausrichte. Voriges Jahr musste ich leider darauf verzichten. Schuld daran war die Herrschaft der Muslim-Brüder, die Straßen in Kairo waren einfach zu unsicher. Das wollte ich weder meinen Publikum antun noch mir selbst. Da sollten wir besser auf Nummer sicher gehen und zu Hause bleiben. Deswegen musste ich 2012 mein Konzert absagen.“

Es habe eine gewisse Unsicherheit ganz allgemein für Konzerte in Ägypten gegeben, meint die Sängerin im Rückblick. „Man wusste ja nie, wie die Muslim-Brüder reagieren, ob sie das Publikum angreifen. Da gab es sehr viel Krach von den Mursi-Anhängern. Ich habe mir gedacht, wenn das Opernhaus schon Vorstellungen streicht, gehe ich lieber kein Risiko mit meinem Konzert ein.“

Das war ein herber Einschnitt in eine kleine Tradition. Denn Gala El Hadidi hatte in den Jahren zuvor regelmäßig zu Weihnachten in ihrer früheren Heimat gastiert: „Ich war ja ein festes Ensemblemitglied der Kairoer Oper. Das fing schon 2001 an, dass sie gesagt haben, Ägypten zelebriert sehr viele Weihnachten, für Katholiken, evangelische und orthodoxe Christen. Deswegen gibt es vom 1. Dezember bis zum 10. Januar Weihnachtsschmuck. Da hat die Oper entschieden, eigene Weihnachtskonzerte zu präsentieren.“ Wenig später hat sich Gala El Hadidi gesagt, nicht nur im Ensemble mitzusingen, sondern selbst etwas anzubieten: „Also nicht nur Weihnachtslieder, sondern alles mehr international. Auch Ausschnitte aus Oper und Musical, und zwar in unterschiedlichen Sprachen.“

Für 2013 hatte sich die Sängerin ein besonderes Konzertprogramm ausgedacht: „Der erste Teil mit einer Mischung aus Opernarien und Musical, dazu zum ersten Mal in Ägypten Ausschnitte einer Operette von Robert Stolz – den kennt hier niemand! In der zweiten Hälfte dann Weihnachtsrepertoire wie Ave Maria, Stille Nacht und so. Denn ich weiß, dass im Publikum viele Ausländer und Botschafter sind, da singe ich deutsch, manchmal füge ich einfach einen Vers auf finnisch oder estnisch ein, damit sie sich angesprochen fühlen.“

Verbunden mit diesem für den 25. Dezember geplanten Konzert war die Hoffnung, dass mit dem Verbot der Muslim-Brüder nun alles wieder wie früher sein würde. Vor wenigen Tagen noch zeigte sich Gala El Hadidi sehr optimistisch: „Wir kommen wieder zurück zu dem, wie wir früher Weihnachten gefeiert haben, vor den Mursi-Zeiten.“

Kunst soll niemand verhindern!

Und dann gab es just am 24. Dezember einen Anschlag in Mansoura. Alle Konzerte wurden daraufhin abgesagt, Ägypten verharrte in Trauer. Gala El Hadidi aber beschloss – und die Oper Kairo hat sie darin bestärkt –, ihr Weihnachtskonzert auf den kommenden Sonntag zu verlegen. „Alles andere wäre genau das, was die Muslim-Brüder wollen. Aber damit bin ich nicht einverstanden. Niemand soll Künstler daran hindern, ihre Kunst auszuüben. Niemand soll unsere Weihnachtsfreude zerstören!“

Senden wir herzliche Grüße aus Dresden nach Kairo!
Bis nächsten Freitag –

Michael Ernst