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Theater aus Israel, Klezmer-Pop aus Polen

Fotos: Sebastian Löder / Das halbrunde Zimmer

Dresden, societaetstheater, die kleine Bühne im Keller. Also erst einmal herunter, die Treppe hinab. Der fast dunkle Raum ist duftgeschwängert, so lieblich empfängt uns der schlichte Salon einer alten Jüdin in Acco, in Israel, im Nahen Osten.

In Acco ist das Theatre Center zu Hause, eine Keimzelle des modernen Theaters, politische Themen verbunden mit biografischen Materialien und Erfahrungen, alles andere als politisch korrekt, biografisch daher auch fiktiv, die Wahrheit lässt sich nicht allein mit Fakten finden, sie zeigt sich bestenfalls in der Verunsicherung, im Durcheinander, immer dann, wenn die Kategorien in schändlichste Verwirrung geraten. Das wird auch in dieser Stunde passieren. Es fängt eigentlich schon an, wenn wir den Raum betreten. Eine Frau ist eingeschlafen. Der Fernseher läuft. Da redet eine alte Frau, na das erkennen wir, sie hat einen arabischen Hintergrund, sie ist Muslima, sie lebt in Acco, sie ist Israelin. Was sie sagt können wir mitlesen, deutsche Untertitel, man muss ganz schön fix sein.

Die schlafende Frau ist real. Das ist die Schauspielerin Smadar Yaaron und was wir sehen ist der erste Teil einer Trilogie, die am Ende „Acco, my love“ heißen wird, Teil eins heißt „Um Muhamed“, und da zuckt die Schlafende in ihrem Sessel. Und so wie man etwas von der Herkunft der Frau auf dem Bildschirm anhand ihrer Kleidung erkennt, so verweisen die Frisur, die Kleidung bei der Frau, die da langsam erwacht, auf ihre jüdische Herkunft. Oder sind wir einem Klischee erlegen. Wenn ja, dann soll es so sein, mit Klischees wird gespielt, das kann auch mal ganz schön komisch werden, es gehört zu den Spezialitäten des Theaters aus Acco, Witze zu machen über Dinge, die ganz und gar nicht witzig sind.

Langsam, immer wieder mal, zunächst sehr sporadisch, hört die Frau im Sessel dem zu, was da gesagt wird, von der anderen Frau, im Fernseher. Langsam hakt sie ein, so bei den Jahreszahlen, 1937, 1939, da war doch was? Wovon redet die Frau im Fernsehen, kennt sie ihr Geburtsdatum nicht, oder kennt sie Ereignisse in Europa, damals, in der Slowakei, woher die Frau im Sessel offensichtlich stammt. Wo der Großvater ein Geschäft hatte, Schokolade, die Erinnerungen sind süß und dann bitter zugleich. Und die Frau im Fernsehen, die alte Frau aus Acco, in Israel, sie erinnert sich auch, auch ihre Erinnerungen sind voller Bitternis, jetzt geht es um die Zeit zwischen 1947 und 1949, Besetzung, Vertreibung, Mord und Vernichtung. Sie hat überlebt. Sie hat viel verloren.

Die andere hat auch überlebt, die Frau im Sessel, im Europa der 40er Jahre, sie hat den Holocaust überlebt und lebt jetzt auch in Acco. So wie es für Juden nicht möglich ist, das Wort „Palästina“ auszusprechen, so zerbricht Palästinensern des Wort „Israel“ wie ein splitternder Holzscheit im Mund. Das Heilige Land ist es für beide, „The Holy Land“, und wieder so eine alte Geschichte, voller süßer Hoffnung und voller bitterer Erfahrung.

Immer stärker verweben sich Schicksale von Menschen, hier sind es die der beiden Frauen, das Leid wird nicht aufgerechnet, nicht das des von den Deutschen betriebenen Holocaust gegen die Verbrechen Stalins, nicht das Leid der Nakba, jener Flucht und Vertreibung der über 700.000 arabischen Palästinenser aus dem früheren britischen Mandatsgebiet Palästina, auf dessen Gebiet zu Teilen der Staat Israel 1948 seine Unabhängigkeit ausrufen konnte.

Also nicht der Exodus der Juden gegen den der Palästinenser, und doch, je näher sich die beiden Frauen kommen, je mehr die erlittenen Schicksale der jeweils anderen sie berühren, je näher kommt man in dieser so intensiven und interaktiven Stunde des Theaters dem Gedanken was es denn heißt, dass es kein fremdes Leid gäbe. Und ganz langsam keimt die Hoffnung, dass die Chance bei den Opfern liegt, das aus dem Verständnis neue Visionen für ein gemeinsames Heiliges Land erwachsen könnten. Das ganze bleibt ein Konjunktiv. Immerhin. Wie vage die Hoffnungen sind, das macht die Schauspielerin Smadar Yaaron körperlich erfahrbar, nicht nur weil sie eine alte Frau spielt sind ihre Schritte langsam, tastend, droht sie zu fallen, wenn sie immer wieder schwankt. Das Land, der Boden, auf dem das Haus mit ihrem kleinen Salon in Acco sich befindet, vielleicht gar nicht so weit von jenem Stadtviertel in Acco, in dem die andere Frau gerade in die Kamera lächelt, es hat keinen festen Grund. Noch lange nicht.

Wir werden in dieser außergewöhnlichen Stunde bewirtet. Süße Schokolade gibt es, in reichem Maße. Süße, getrocknete Früchte dazu. Aber der Tee aus Salbeiblättern ist bitter. Und dann werden wir aufgescheucht, es war ja auch fast zu gemütlich, wir müssen heraus aus dem Theater, die Treppen wieder aufsteigen. Den süßen und den bitteren Geschmack nehmen wir mit.

Manches vertraut, andres zu laut

Am nächsten Abend, Ortswechsel, Szenenwechsel, scharfer Schnitt. In der Scheune ist der Saal voll. „Klezmerfour – 5th Element“ aus Polen gibt in Dresden sein Deutschlanddebüt. Klezmer steht drauf, Klezmer ist drin, nicht ganz wie gewohnt, denn die fünf Musiker aus dem Nachbarland gehören sicher nicht zu den kostümierten Klezmermusikern, die etwa im jüdischen Viertel von Krakow Touristenklischees bedienen.

Fotos: CAPRICIEUX

Hier wird gerockt, hier wird es laut, kaum nostalgisch, weit entfernt vom melancholischen Schmelz modischer Klezmatik. Fünf temperamentvolle Musiker aus Polen heizen den Dresdnern ein. Schlagzeug, Bass, Klarinette, Akkordeon und ein Charmebolzen als Teufelsgeiger. Natürlich alles verstärkt, das wummert mitunter ganz schön, aber manche Feinheiten kommen dennoch zum Klingen. Manches klingt vertraut, anderes zu laut. Manche Klangpassagen klingen als kämen sie direkt vom Balkan, andere wieder sehr romanesk, ein wenig Orientalismus klingt auch durch, und klar, auf typische Schluchzer der hoch gestimmten Klarinette muss man nicht verzichten.

Manchmal allerdings hat man den Eindruck, die Musiker aus Polen seien einem Klischee über deutsche Zuhörer aufgesessen, nicht alle sind nämlich Mitklatscher. Aber da helfen die Musiker schon mal kräftig nach, wenn es sein muss geraten ihre Gesten in den Dunstkreis unangenehmer Militanz, und der immer wieder mal ausgestreckte rechte Arm des springenden Geigers, immerhin mit geballter Faust, dürfte einer vorübergehenden Gedankenlosigkeit geschuldet sein. Die Band kommt aus Lublin. Johannes R. Bechers Gedicht von den Kinderschuhen aus Lublin gibt es bestimmt auch in einer polnischen Übersetzung.