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„Oo-ann-ä-Aaahmmsch“

Alina Pogostkina (Foto: Felix Broede)

Das war so recht ein Programm nach dem Gusto des Philharmonie-Besuchers! Eine rauschende Ouvertüre mit Wumms und Ohrwurmcharakter. Das Allzeithoch-Violinkonzert schlechthin, interpretiert von einer jungen Geigerin. Und "Beethovens Zehnte", mithin der Höhepunkt sinfonischen Schaffens im 19. Jahrhundert. 

Zuerst also eine weitere Verbeugung vorm Jubilar Richard Wagner: Ein Dutzend Mal (!) stand die »Rienzi«-Ouvertüre in dieser Saison schon auf den Notenpulten der Sächsischen Staatskapelle, unter Christian Thielemanns charismatischer Leitung schien sich das internationale Publikum gern in den Klangstrudel um Macht, Verrat und Untergang zu stürzen. Reizvoll nun der Kontrast zur Lesart Michael Sanderlings: der legte zunächst auf Tonschönheit der tiefen Streicher wert, verzettelte sich etwas beim langsamen Beginn und ließ es dafür später ordentlich krachen. Bässe, Pauke und Trommel lieferten römisches Schlachtgetümmel als dramaturgisch gut abgestimmte Menüfolge, mit frischen Zutaten und durchgängig "al dente".

Wer sich hernach gemütlich zurücklehnen wollte, wurde kalt erwischt von der ungewöhnlichen, Instrument und Partitur immer wieder hinterfragenden Herangehensweise der Solistin Alina Pogostkina. Die Geigerin, die als Achtjährige nach Deutschland kam und ihr Geld als Straßenmusikerin verdiente, spannte noch ihren Bogen nach, während das Orchester den ersten Takt des Mendelssohn-Konzerts spielte. Eine Sekunde später sprang sie hochkonzentriert in eine Klangwelt, die nicht nur das Publikum, sondern auch die Philharmoniker sichtlich in den Bann schlug. In den ersten Reihen war ihr filigraner, feinsilbriger Ton gut zu hören; aber dass das Albertinum eben auch nach einer Spielzeit Probieren und Austarieren noch nicht optimal beherrschbar ist, zeigte sich spätestens nach der Pause. Wer da (wie probeweise der Rezensent) im hinteren Viertel des Saales saß, bekam von Johannes Brahms leider nur "Oo-ann-ä-Aaahmmsch" mit. Die Feinheiten, die das Orchester in dessen Sinfonie-Erstling legte, versickerten und verschwammen.

Trotz alledem hätte der Saal mit dieser Werkfolge sicherlich ein halbes Dutzend Mal ausverkauft sein können. Allein, gerade dieses elfte Konzert der Spielzeit wurde nur einmal gegeben, da das Orchester danach auf eine lange Asientournee mit Konzerten in Iwakuni, Nara, Osaka und verschiedenen Hallen in und um Tokio ging. Den Violinpart im Mendelssohn-Konzert wird dann allerdings die Geigerin Tamaki Kawakubo übernehmen, und die »Rienzi«-Ouvertüre wird durch einen weiteren fasslichen Publikumsliebling ersetzt.

Eine Textfassung des Artikels ist am 18. Juni 2013 in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.