Scroll Top

Dresden hinkt der Zeit voraus

Als hätte Dresden aus den Tiefen des Elbtals heraus doch einmal uferlos Weitblick bewiesen, stimmte das theatraligste Brauhaus der Stadt vor reichlichen Jahren schon ein Stemmen des Jahresrings an, das mit grandiosem Stühlerücken einherging. Vom „Rheingold“ bis hin zur „Götterdämmerung“ zog sich dies im Anspielungsreich durch. Neuerer Aufguss ward ihm freilich nicht beschert. Nicht mal ein Aufkochen.

Und doch mahnt die am Überfluss gelegene Elbsandstadt des selbstherrlichen Meisters noch heute. Sie schlägt sogar Parallelen, die wie aus Klingsors Zaubergarten zu stammen scheinen. Von tumben Torheiten zu schweigen. Just dieser Garten nämlich hatte sein Vorbild in der Nähe Neapels, Vollendung jedoch fanden der Opernmatador und sein letztes Bühnenopus erst in Palermo, unter der Herbstsonne Siziliens. Dort, tief im Süden Europas, dort wollte die geschliffene Speerspitze modernerer deutscher Opernkunst eigentlich seine angeschlagene Gesundheit kurieren, aber nichts, gar nichts ging für den Vielschreiber ohne Dichtung und Tonsatz. Von Ängsten geplagt, dieses Bühnenweihfestspiel nicht mehr fertigstellen zu können – klingen bei den Gralshütern nicht schon mafiöse Strukturen weitsichtig mit an? –, plagt er sich mit der Schöpfung, die er im Schatten des Monte Pellegrino glücklich zu ihrem Ende führt.

Fast vergessen war da, dass Richard Wagner gut dreißig Jahre zuvor Hals über Kopf aus Dresden fliehen musste, wo er eine gut dotierte Anstellung als Hofkapellmeister innegehabt hatte. Auf Lebenszeit! Wäre ihm nicht der Coup mit dem sicheren Zufluchtsort in der Schweiz gelungen – sein Leben hätte er auf monarchisches Geheiß entweder früher beendet oder aber längerfristig im Kerker gefristet.

Heutige Kaffeesatzleser wollen herausgefunden haben, dass Richards Amtsnachnachfolger Christian Thielemann angesichts einer an der Spree frei werdenden Stelle die Ex-Residenz Dresden ebenfalls nur als vorübergehendes Stadium erachten würde. Dabei übersehen sie ganz, wen es real nach sizilianischem Espresso gelüstet! Angesichts des mitunter durchwachsenen Sängerinnen- und Sängerdebakels hinter den Mauern des letzten sächsischen Semper-Baus ist dieser Durst durchaus verständlich.

Aufgekommen ist er im Büro des amtierenden Operndirektors der Sächsischen Staatsoper, von wo aus die Spatzen verkünden, dass der eher glücklose Ratgeber in Stimmdingen Dresden schon bald wieder verlässt. Gewisse Auszeiten gönnt sich Eytan Pessen schon jetzt und eifert – solche Zufälle sind im Opernbetrieb ja nichts Ungewöhnliches – dem oben erwähnten Richard Wagner nach.  In Palermo, wo Anfang 1882 der Schlusstakt zum „Parsifal“ gesetzt wurde, herrschen derzeit nämlich Zustände wie im alten Rom. Nein, wie im nie ausgeschriebenen Zoff zwischen Tristan, den Meistersingern und sämtlichen Gralshütern, als die von Hagens wildem Treiben erfuhren. Unter uns gesagt: In Palermo herrschen Zustände wie in Palermo! Ein Opernintendant hat ehrenwerte Freude mit Posten bedacht – immerhin steht er ja einem der größten Musiktheater der Welt vor. Ein Bürgermeister hat daran keinen Gefallen finden können und den Intendanten flugs aus dem Amt verjagt. Um den Spielbetrieb der mit mehreren Millionen Euro hochverschuldeten Oper aufrechterhalten zu können, wurde ein kommissarisch waltender Intendant bestellt – und der braucht natürlich hilfreiche Unterstützung mit Rat und Tat. Als ob sich die Italiener in Theaterdingen hineinreden lassen würden! Da kennen sie sich doch besser aus, mit einem aus fragwürdiger Quelle zum Clown geadelten B-prominenten Komödianten an der Spitze.

Vergleichbare Leistungen soll der aus Israel stammende Eytan Pessen jedoch bereits in Neapel erbracht haben. Überhaupt scheint er ein unruhiger Zeitgenosse zu sein; bevor er mit der Intendantin Ulrike Hessler nach Dresden fand, wirkte er u.a. an der Stuttgarter Staatsoper, beim Festival RUHR 2010, an der Oper Frankfurt am Main, der Theaterakademie München sowie der Scuola di Opera Bologna. Dennoch soll das Teatro Massimo in Palermo nicht die nächste Station in Pessens Vita werden, heißt es. Er wolle nur helfen. Sozusagen von einer Wagner-Stadt zur anderen. Denn im einstigen Kurort des komponierenden Dichters und dichtenden Komponisten formt sich justament ein ganzer „Ring“, nicht etwa der dort verfertigte „Parsifal“. Unter Fabio Carapezza Guttuso, dem kommissarischen Hüter des Hauses, inszeniert Regisseur Graham Vick die Nibelungen-Tetralogie. Gut möglich, dass da noch ein wenig Stühlerücken gefragt ist.