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Ein unglückliches Sängerpaar

So eine Premiere erlebt die Semperoper sicherlich nicht oft. Wüste Buh-Rufe nach der Vorstellung, aber auch Beifall zwischen den Szenen spendete das Publikum. »Manon Lescaut«: ein durchwachsenener Abend.

Der Komponist als stumme Rolle (Fotos: Matthias Creutziger)

Klar dominierte, völlig zurecht, die Titelheldin diese Premiere: Manon Lescaut wurde von Norma Fantini gesungen; klar, tragend, ausgefeilt. Ihre geschickt differenzierte Dynamik zeigte, sie beherrscht die leisen, schwierigen, zarten Höhen, hat aber auch eine verblüffende Spannung in der Tiefe. 

Worum gehts in Puccinis erster erfolgreicher Oper? Eine schöne junge Frau, die ins Kloster soll, verguckt sich in einen armen Theologiestudenten und kann sich fortan nicht zwischen ihm und seinem reichen Nebenbuhler, Geronte di Ravoir, und den mit ihm verbundenen Luxusgenüssen entscheiden. Schlussendlich verdurstet sie in der amerikanischen Wüste – das Libretto, an dem Ruggiero Leoncavallo, Marco Praga, Domenico Oliva, Luigi Illica, Giuseppe Giacosa, Giulio Ricordi und Giuseppe Adami mitschrieben, wird hier etwas wirr, das Programmheft erwähnt die "unfreiwillige Modernität" des Geschehens. Erzählt wird nämlich nicht eine durchgehende Geschichte, sondern vielmehr durch Schlaglichter, Ausschnitte und die Betonung von Kernmomenten. So ist hier und da der Zuschauer in seiner Aufmerksamkeit gefordert, wenn er die Geschichte und Hintergründe nicht schon kennt.

Der Schauplatz (Bühne: Heike Scheele) wird durch halbtransparente Vorhänge, große Gerüste, die mal ein Schiff, mal eine Arbeitskulisse oder ein Gefängnis darstellen und überdimensionale amerikanische Symbole wie eine Fackel oder der riesige halb-schräge und im Boden versunkene Kopf der Freiheitsstatue gegliedert. Im ersten Akt der Oper ermöglicht das Bühnenbild durch die Platzierung auf der Drehbühne fließende, spannend gestaltete Szenenübergänge. Regisseur Stefan Herheim sorgt für eine volle Bühne, auf der die Figuren ständig interagieren. Besonders auffällig ist dabei die stumme Figur des Komponisten (Mathias Kopetzki), der das Werk von der ersten Szene bis zum Schlussapplaus begleitet. 

Der achtsame Zuschauer bemerkt außerdem, wie das Buch, das die Handlungsgrundlage bildet, „L´Histoire du chevalier Des Grieux et de Manon Lescaut“ von Abbé Prévost, innerhalb des Stückes die Fäden zieht: zu Beginn wird es Puccini entwendet; später als Beweis für Kommendes oder Erinnerung an Vergangenes benutzt.

Das ein oder andere Schmunzeln evoziert dieser Puccini, indem er zwischendurch seinen Figuren Notenblätter reicht, sichtbar mit ihnen leidet, mal nur rauchend am Bühnenrand beobachtet oder direkt in die Handlung einbezogen wird. In der Schlussszene stirbt er mit Manon – warum, wird nicht ganz klar.

So stehen die Hauptfiguren, Manon, ihr Bruder Lescaut, inbrünstig gesungen von Christoph Pohl, der Student Renato Des Grieux (Thiago Arancam) und der reiche Verehrer Manons, Geronte di Ravoir, den Maurizio Muraro fabelhaft sonor singt, in ständiger Interaktion: wenn nicht mit Puccini, so mit den vielen Komparsen des Sächsischen Staatsopernchores. Diese Bewegung durch den Chor macht den ersten Akt erfrischend und kurzweilig, ebbt aber später handlungsbedingt ab.

Ein ständiger Begleiter Manons (Norma Fantini) : Die Figur des Puccini, hier mit Des Grieux (Thiago Arancam).

Dank der Einstudierung von Pablo Assante präsentierte sich der Opernchor stimmstark; die Sänger reagierten harmonisch feinfühlig, kommentierten das Geschehen und trugen die Handlung wesentlich mit. Anfangs ebenso ausgeglichen, genussvoll, später für das ein oder andere Ohr vielleicht zu wuchtig und pompös musizierte die Sächsische Staatskapelle unter der Leitung von Christian Thielemann. Um ihn zu sehen und sein Orchester zu hören, das wurde durch den Beifall klar, waren viele gekommen. Puccinis märchenhafte, stimmungsmalende Musik konnte nicht nur durch zarte und homogen gegossene Streicherklänge betören. Vielmehr hatte die Komposition szenenverbindende Funktion: einzelne Instrumente und leitmotivähnliche Melodien verkörperten Stimmungen und Emotionen und gipste Handlungsbrüche. So wurde das Publikum von einer in die nächste Szene geführt, obwohl die Handlung eher aneinander gereihte Ereignisse als eine stringente Geschichte darstellt. 

Neben seiner temperamentvoll und sensibel zugleich singenden Geliebten konnte die männliche Hauptrolle des Renato Des Grieux leider nicht bestehen. Ob der Tenor Thiago Arancam an diesem Abend indisponiert war? Die anspruchsvolle Partie beherrschte er offenbar – aber an Volumen, Tragkraft, Substanz mangelte es. Im Duett mit vielstimmiger Orchesteruntermalung ging er neben Norma Fantinis famoser Stimme kläglich unter. Wer diese Premiere gehört hat, fragt sich, warum gerade diese beiden Stimmen für diese Oper ausgewählt wurden.

Am Ende honorierte das Publikum den Tenor mit mehr Buh-Rufen als Applaus, bejubelte allerdings den Dirigenten, sowie Christian Thausing, der für die szenische Einstudierung mitverantwortlich war, den Dramaturgen Alexander Meier-Dörzenbach, die Kostümbildnerin Gesine Völlm und Fabio Antoci, der das Licht beisteuerte. Nach dem ersten Applaus jedoch mussten die Protagonisten mit ansehen, wie viele bereits Richtung Ausgang strömten: die Enttäuschung über den Tenor verdrängte die Freude über eine sonst gelungene Premiere.