Scroll Top

Der Antipode

Foto: Matthias Creutziger

Myung-Whun Chung hätte zu seinem Antrittskonzert als Erster Gastdirigent der Staatskapelle Dresden kaum ein passenderes Werk als Olivier Messiaens "L'Ascension" wählen können. Einerseits, weil er als Experte für das Œuvre seines Freundes Messiaen gilt, und man sich seiner meditativen Lesart des Stückes gern anheimgibt. Andererseits, weil das Werk auf feine Art und Weise die Herausforderungen deutlich machte, die in den nächsten Jahren vor der Staatskapelle liegen. Gerühmt für seinen Streicherklang ist das Orchester ja, weltweit. In einem Satz jedoch wie "Extrêmement lent, ému et solennel" ("Äußerst langsam, gerührt und feierlich") gerät die Streichergruppe klangtechnisch an eine Grenze. Und in dem einleitenden Bläsersatz – auch hier nahm Chung das "Très lent" wörtlich – wurden einige Wackler und kleine Abstimmungsprobleme hörbar. Auch hier ist ein In-sich-Ruhen, ein intelligentes Schwarmverhalten vieler selbstbewusster Individuen, der Schlüssel zum Hörerglück.

Und die Mahler-Symphonie? Der "Titan" war ein gelungener Auftakt zum geplanten Mahlerzyklus Chungs. Musiker und Dirigent wurden für ihr Tun rechtschaffen umjubelt. Keine Angst vor grellen Farben, charakteristisch ausgeformte Motive, ordentlich Wumms an den Stellen, wo es nottut – das war ein griffiger, ein in jeder Faser überzeugender Mahler. Das Publikum jubelte.

Und an dieser Stelle wurde endgültig deutlich, welch ideale Wahl der Koreaner neben dem Chefdirigenten doch ist. Eine Äußerlichkeit, sicher, aber eine, die Bände spricht: Wo Thielemann den brausenden Applaus kampfeslustig herauskitzelt und genüsslich darin badet, winkt Chung bescheiden ab. Das Publikum im Semperopernrund feierte ihn herzlich – Chung setzte sich demonstrativ mit dem Rücken zum Publikum aufs Pult und schenkte den Applaus – nebst riesigem Blumenstrauß – bescheiden "seinen" Musikern hin.

Ich freue mich auf dieses dirigentische Abwiegen der Kräfte, das Ausloten der Polaritäten, auf die Ausdehnung des Repertoire-Universums, auf das Yin ("Nordhang des Berges") zum Yang ("Fülle", "Hitze", "sonnige Anhöhe").