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Ein Konzert zum Ende der Zeit

Adieu, mein kleiner Gardeoffizier: für heute Abend ist ein wasserspeiendes Reptil vorgesehen. Glücklich, wer da die Dresdner Sinfoniker zur Verstärkung an seiner Seite weiß.

Populäre Mythen prophezeien für den 21. Dezember 2012 den Weltuntergang. Tatsächlich bricht an diesem Tag im Kalendersystem der Maya ein neues Jahrtausend an. Diesen Neubeginn wollen die Dresdner Sinfoniker gemeinsam mit mexikanischen Musikern feiern. Das Besondere: Die Aufführungsorte in Mexiko und Dresden werden mit einer aufwändigen Liveschaltung verbunden. Einer der renommiertesten Dirigenten Lateinamerikas, José Areán, wird in der sächsischen Hauptstadt den Einsatz geben. Die Solisten und das Orchester befinden sich auf zwei verschiedenen Kontinenten. Dennoch konzertieren sie gemeinsam. Die Tickets für dieses Ereignis waren im Nu ausverkauft. Der einmalige Abend wird aber live im Internetsender von ARTE zu sehen sowie im Deutschlandradio Kultur und im MDR Figaro live zu hören sein.

Er begleitet die Sinfoniker auf traditionellen Instrumenten: der Gitarrist und Sänger Gonzalo Ceja.

Auf traditionellen Maya-Instrumenten begleiten der Flötist Horacio Franco sowie der Gitarrist und Sänger Gonzalo Ceja ein junges Talent aus Guatemala: Die familiären Wurzeln der Sängerin Sara Curruchich Cúmez liegen in der frühen Hochkultur der Maya. Die monatelange Suche nach einer indigenen Stimme war extrem schwierig. Selbst unter den Nachfahren der Maya ist deren Liedgut wenig populär. Nur einige wenige Kinderlieder sind überliefert. Die Sängerin Sara Curruchich Cúmez nennt der Intendant der Dresdner Sinfoniker, Markus Rindt, einen „Glücksfall“. Die Dresdner Sinfoniker spielen zusammen mit einem Rocktrio. Dessen Bass-Gitarrist und der Schlagzeuger stammen ebenfalls aus Mexiko. Zur Aufführung kommen Werke von zwei der profiliertesten zeitgenössischen Komponisten Mexikos: Der viel zu früh verstorbene Silvestre Revueltas ist in seiner Musik bis heute lebendig. Weltweit bekannt ist seit einigen Jahren auch der junge Komponist Enrico Chapela. Er hat sich intensiv mit der Zeitrechnung der Maya auseinandergesetzt und ihr mathematisches Muster in seine Komposition für diesen Abend integriert. „Albaktún“ wird am 21. Dezember 2012 uraufgeführt. Die Liveschaltung setzt bei diesem Stück ein. „Albaktún“ läutet das neue Zeitalter ein.

Das Konzert in Dresden findet unterhalb der Schatzkammer der Sächsischen Landesbibliothek-Staats- und Universitätsbibliothek statt. Für diesen Ort gibt es einen guten Grund: Hier wird der Codex Dresdensis ausgestellt. Die „wichtigste erhaltene Schrift der frühamerikanischen Hochkultur“, so der Direktor der Bibliothek, Prof. Dr. Thomas Bürger. Der Codex Dresdensis ist ein Schlüssel- dokument für die Entzifferung der Maya-Hieroglyphen und für die Erforschung der Astronomie und Zeitrechnung der Maya. Durch viele Kriege hindurch gelang es, diesen Schatz in Dresden zu bewahren. Allerdings würde er aufgrund von Kriegsschäden heute keinen Transport mehr überleben. Der Codex Dresdensis ist die einzige Handschrift der Maya, die im Original gezeigt wird.

Die angebliche Prophezeiung des Weltuntergangs für den 21. Dezember 2012 geht auf eine Fehlinterpretation des Codex Dresdensis zurück. Am Ende des Dokuments ist ein Wasser speiendes Reptil abgebildet. Aufgrund dieses Bilds und dem Ende der Langen Zählung des Mayakalenders entstand die Legende, am 21. Dezember 2012 werde die Welt untergehen. Tatsächlich handelt es sich um ein Missverständnis: Die Maya waren Bauern. Im Codex Dresdensis ist die Rede von Naturkatastrophen, die ihre Ernten vernichten könnten. Allerdings nie im Zusammenhang mit dem 21. Dezember 2012. Der Codex Dresdensis verknüpft die sächsische Hauptstadt mit der uralten Kultur der Maya.

Wie bei einem Silvesterkonzert setzt die Liveschaltung von Dresden nach Mexiko um Mitternacht ein. Zu diesem Zeitpunkt versinkt in Mexiko gerade die Sonne am Horizont. Diesem Zeitpunkt misst die Kultur der Maya eine große mythische Bedeutung bei. Mit Sara Curruchich Cúmez erklingt in Mexiko eine selbstbewusste, indigene Stimme, über alle Zeitzonen und Ozeane hinweg. Gemeinsam mit ihr verbeugen sich die Dresdner Sinfoniker und die mexikanischen Solisten vor einer uralten Kultur – weltumspannend und anrührend zugleich.