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Eine Lichtgestalt ist gegangen

Im September hatte Henze die Dresdner Premiere von "Wir erreichen den Fluß" in der Semperoper verfolgt (Foto: M.M.)

Die Sächsischen Staatskapelle, mit ihrem Chefdirigenten Christian Thielemann auf der ersten gemeinsamen Asientournee unterwegs, landete an Samstag in Taiwans Hauptstadt Taipeh und musste hier vom Tod ihres derzeitigen Capell-Compositeurs Hans Werner Henze erfahren. 

Der Komponist war dem Orchester sowie dem Dresdner Opern- und Ballettensemble und natürlich auch dem Publikum in Dresden seit vielen Jahren eng vertraut. Bereits 1966 hatte er ein komplettes Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle mit ausschließlich eigenen Werken geleitet, nur ein Jahr später wurde zur 300-Jahr-Feier der Oper sein „Junger Lord“ aufgeführt, auch in den Jahrzehnten danach tauchte sein Name immer mal wieder in den Konzertplänen auf. Auch wenn von kontinuierlicher Pflege bis zu den 1990er Jahren vielleicht keine Rede sein kann – die gab es anderswo auch nicht – sind Henze und Dresden doch schon lange ideell eng verbunden.

Sein Name findet sich inzwischen mit ziemlicher Regelmäßigkeit im Repertoire von Ballett, Konzert und Oper. Die derzeitige Spielzeit der Semperoper sollte alles Bisherige in den Schatten stellen und Hans Werner Henze, diese Lichtgestalt des Musikschaffens im 20. und 21. Jahrhundert, als Dresdner Capell-Compositeur noch einmal so präsent wie nie zuvor und wohl auch wie nirgendwo sonst ins Zentrum stellen. Nun liegt der schwere Schatten des Todes darüber.

Der 1926 in Gütersloh geborene Tonsetzer, dessen äußerst umfangreiches Œuvre zehn Sinfonien, Kammermusiken, Solowerke und diverse Orchesterstücke, zahlreiche Opern und Ballette sowie Hörspiel-, Film- und Schauspielmusiken umfasst, er wird in Dresden unvergessen bleiben. Zum ohnehin nicht eben armen Henze-Repertoire kam gleich zur Saisoneröffnung die 1976 in London uraufgeführte Oper „We come to the River“ („Wir erreichen den Fluss“) in einer Neuinszenierung von Elisabeth Stöppler hinzu, als Gastspiel des gleichnamigen Ensembles gab es Ende September das 1969/70 auf Kuba entstandene Rezital „El Cimarrón“ sowie gut einen Monat danach – als Teil des Ballettabends „Bella Figura“ – die choreografische Uraufführung von „Das Vokaltuch der Kammersängerin Rosa Silber“. Quasi zum Henze-Festival geriet der Spielzeit-Auftakt durch die Wiederaufnahme von „Gisela! Oder: Die merk- und denkwürdigen Wege des Glücks“, eine Auftragskomposition der Kulturhauptstadt Europas Ruhr.2010 und der Semperoper Dresden.

Dass die Staatskapelle ihrem Capell-Compositeur in dieser Spielzeit in besonderer Weise huldigen wollte, verstand sich ganz von selbst. Bereits im 1. Aufführungsabend dirigierte Michail Jurowski Henzes „L'heure bleue“ von 2001, im 3. Symphoniekonzert Mitte Oktober leitete Chefdirigent Christian Thielemann, der dem Maestro seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden war, das 2004 entstandene Orchesterstück „Sebastian im Traum“. Eigens dazu ist der Altmeister noch einmal an die Elbe gereist, lauschte dem Konzert und traf sich anschließend mit Thielemann. Es sollte sein Abschiedskonzert werden.

Doch seine Musik bleibt uns erhalten, Ende November werden unter Vladimir Jurowski Auszüge aus Henzes „Requiem“ in der Frauenkirche zu hören sein, zu den Osterfestspielen in Salzburg ist neben dem 3. Streichquartett gar eine Uraufführung vorgesehen: „Isoldes Tod“ sollte dann im Großen Festspielhaus erklingen und Hans Werner Henzes langjährige Beschäftigung mit dem einstigen Dresdner Hofkapellmeister Richard Wagner in dessen Jubiläumsjahr kreativ fortsetzen. Dazu wird es nun nicht mehr kommen, was nicht nur Christian Thielemann sehr bedauert. Er zeigte sich in Taipeh tief betroffen von Henzes Tod.