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Club Vivaldi – Die »Europäische Kammerphilharmonie Dresden« gibt ihr Debüt

Foto: Elisabeth Pohl

Wer braucht Perfektion, wenn man wahre Leidenschaft haben kann? Jungen Menschen klassische Musik nahezubringen – dieses Ziel verfolgen die Musiker und Musikerinnen der neu gegründeten »Europäischen Kammerphilharmonie Dresden«. Am 1. Oktober gaben sie ihr Debüt im Club L'Hibou. Welches Stück des klassischen Kanons würde besser in einen Club passen als der Dauerbrenner "Die vier Jahreszeiten" von Antonio Vivaldi? Stark rhythmische Betonungen ließen so manchen Discobesucher aufhorchen und riefen Erinnerung an Electromusik hervor.

Das Konzept, Klassik im Club zu genießen, ist kein neues. So veranstaltet auch das Label Deutsche Grammophone mit der »Yellow Lounge« immer wieder Konzerte mit klassischer Musik in Clubs. Der große Unterschied zur »Europäischen Kammerphilharmonie Dresden« liegt gewiss nicht im Niveau – denn das war beachtlich – sondern vor allem im Preis: Das gestrige Konzert war kostenlos. So soll nicht nur klassische Musik an neuen Orten, sondern für ein neues Publikum aufgeführt werden; für junge Menschen, denen ein pompöser Konzertsaal mit seinen konservativen und als versteift empfundenen Regeln befremdlich erscheint.

Zu leichter elektronischer Hintergrundmusik füllte sich der kleine, bunt beleuchtete Club L'Hibou schnell, bis schließlich viele Besucher keinen Platz mehr fanden und nur noch im Eingangsbereich stehen konnten, um doch noch an dem Konzert teilzuhaben. Keine grauen Anzüge und weißen Haare, sondern bunt gemischte Vielfalt füllte den Raum. Ein sehr junges Publikum – das Konzept ging voll auf. Keine festen Sitzreihen, sondern gemütliche Sofas und ein Bier vor dem Konzert lockerten die Atmosphäre angenehm. Und dann begann es: das Debüt der "EKDD", mit dem Allegro aus dem "Frühling". Augenblicklich war das Publikum verzückt. Man sah die Anspannung, die Nervosität der Musiker, welche aber schnell der Begeisterung und Überzeugung wich, dass ihre Musik etwas unter den Jugendlichen bewirken kann. Mit viel Spaß an der Musik lief die Kammerphilharmonie alsbald zur Höchstform auf.

Der Solist des Abends war der Geiger Yuri Revich. Eine große Ehre für das Orchester, denn der 21-jährige Revich ist einer der bekanntesten, jungen Geiger Russlands und spielte bereits im Wiener Musikverein oder der Carnegie Hall. Mit dem Solopart der "Jahreszeiten" kann man nur brillieren. Doch mehr als das, konnte Revich an diesem Abend ganz viel wagen. Der kleine Club gab ihm die Möglichkeit, seine ganze Palette an Klangmöglichkeiten auszuschöpfen: Von wilder Klangfülle bis zu zart gehauchten Tönen bot er einen Vivaldi, den man so selten hören kann, da diese Nuancen in jedem großen Saal einfach verloren gegangen wären. Mit jugendlicher Kraft und ohne große Gebärden trug er viel zum so authentischen Klang des Werkes bei. Man stelle sich einen 63-jährigen André Rieu in diesem Konzert vor! Wie albern und ironisch das ausgesehen hätte. Yuri Revich verband das Werk, die Musik und das Publikum schon allein durch sein Alter und seine unkomplizierte Art. Aus meiner Sicht war er die ideale Besetzung für diesen Abend.

Klassik im Club macht vieles anders. Die Zuhörer saßen ganz nah an den Musikern, Klassik zum Anfassen könnte man sagen. Man hatte das Gefühl, als spiele die Musik nur für einen selbst. Es gab keine Trennung zwischen der Musik auf der Bühne, die es als baulich getrennte Erhebung so auch gar nicht gab, und dem Zuschauerraum; die Musik wurde unmittelbar übertragen.

Natürlich musste man ein paar Abstriche in der Akustik in Kauf nehmen, doch in einem so gemütlichen, kleinen Raum und bei diesem Ambiente wurde Anderes wichtig. Ob mancher Einsatz nicht perfekt synchron gelang und manch Anfangs- und Endton auch nicht auf Anhieb einen Gleichklang bildeten, rückte völlig in den Hintergrund. Die Musik sprach direkt zum Publikum. Sie berührte jeden in diesem kleinen, privat anmutenden Raum. Und wer will schon Perfektion, wenn man stattdessen ehrliche Hingabe und Leidenschaft erleben darf?

Vor und nach dem Konzert fand man sich in gewohnter Clubatmosphäre wieder. Zur After-Show-Party legte DJ Max Beta Electro auf und brachte die Leute zum Tanzen. In diesem Ambiente durfte das Stimmen der Instrumente auch mal etwas länger dauern; wenn die Musiker dabei lachen, freut sich das Publikum sogar noch daran. Immer wieder gab es zwischen den Sätzen spontanen Applaus, woran sich keiner störte, im Gegenteil, man musste seiner Freude doch Ausdruck verleihen, was sich niemand im Konzert getraut hätte, im Club aber völlig normal ist. Am liebsten hätte man gleich noch den Musikern beim Applaus mit einem freundlichen Lächeln auf die Schulter geklopft.

Vielleicht hat die "Europäische Kammerphilharmonie Dresden" an diesem Abend den ein oder anderen zum Klassikfan gemacht, oder zumindest die Musik für ein neues Publikum geöffnet. Der Applaus sprach für sich, so laut und scheinbar endlos klatschten und riefen die begeisterten Hörer. Wohnzimmeratmosphäre und klassisches Konzert zu verbinden – das ist gestern perfekt gelungen.

David Buschmann