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Buddelschiff Bayreuth

Buddelschiff Bayreuth: mit der Abreise von Evgeny Nikitin hatte der Festspielrummel sein kleines Skandälchen. Der Ex-Punk aus Murmansk wurde durch Samuel Youn ersetzt, der jedoch scheint noch "nicht holländerreif"… (Foto: buba mara / photocase.com)

Heute Abend ist das diesjährige Spektakel auf dem Grünen Hügel mit Richard Wagners Oper „Der fliegende Holländer“ eröffnet worden. Am Pult Christian Thielemann, der in diesem Jahr einmal keinen „Ring“ dirigieren wird, für den er so oft schon gefeiert wurde. Aber neben dem „Holländer“ steht für ihn noch ein zusätzlicher „Tannhäuser“ an.

Bevor nun nicht nur die Schönen und Reichen, sondern auch die deutsche Bundeskanzlerin und vielleicht noch der eine oder andere Opernliebhaber und Wagnerianer gen Festspielhaus gepilgert sind, rumorte es kurz aber kräftig vor der Eröffnungspremiere. Ausgerechnet der Titelheld musste kurzfristig ausgetauscht werden, nachdem ein älteres Video den russischen Sänger Evgeny Nikitin überführt hatte, sich mit einem Hakenkreuz den klangvollen Korpus verunstaltet zu haben. Das Tattoo soll zwar inzwischen übertüncht worden sein, doch der Ex-Punk aus Murmansk schien nicht mehr tragbar und wurde bereits zur Generalprobe durch den Südkoreaner Samuel Youn ersetzt.

Unfreiwillig setzte dieser Vorfall die historisch gemeinte Ausstellung „Verstummte Stimmen“ bis in die Gegenwart fort. Der Wissenschaftler Hannes Heer, der unter demselben Titel bereits an Dresdens Semperoper sowie an weiteren deutschen Theatern nachgewiesen hat, dass diese Kulturtempel im braunen Dutzend des Tausendjährigen Reiches durchaus schlimm in der Judenverfolgung verstrickt gewesen sind, hatte die Aufarbeitung diesmal bis fast vor die Tore des Festspielhauses getrieben. Im Bayreuther Rathaus und zu Füßen des nachgewiesenermaßen auch Braunen Hügels dokumentiert seine Schau dieses dunkle Kapitel. Das halbschwesterliche Chefinnenpaar Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner hätte auf das Kreuz mit dem Russen sicherlich gerne verzichtet.

Zum feierlichen Auftakt der wie stets bis zum Goethe-Geburtstag am 28. August währenden Festspiele war davon nun kaum noch die Rede. Klatschreporter und sonstiges Fußvolk gierten auf eine überdimensionierte, bunte Bonbonverpackung, in der niemand anders als die Pastorentochter Angela steckte. Der Postille von Hamburg bis München schien wichtig, wer sonst noch da und wenn ja wie verpackt war. Dass 2016 ein anderes Missverständnis, der ewig pubertierende Jonathan Meese, Wagners „Parsifal“ in Bayreuth inszenieren soll, ging als Nachricht im Blitzlichtgewitter schon beinahe unter.

Im Gegensatz zum Simplizius-Skandalon Meese hat Jan Philipp Gloger, der den heutigen „Holländer“ inszenierte, immerhin schon spärliche Opernerfahrung vorzuweisen. Am Ende der von MDR Figaro und zahlreichen anderen Rundfunkstationen im sommerlichen ARD-Radiofestival live übertragenen Eröffnungspremiere war nicht zu überhören, dass der schauspielaffine Regisseur ein heftiges Buh-Gewitter auszubaden hatte. Dank einer unmittelbar auf den Schlussapplaus folgenden Debatte von Kritikern wurden die Akklamationen des Publikums, das die musikalische Seite hingegen kräftig feierte, auch dem Radiopublikum verständlich gemacht.

Mit Eleonore Büning von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, Meret Forster von Bayerischen Rundfunk und Hans-Klaus Jungheinrich von der Frankfurter Rundschau versammelte sich eine illustre Runde, die Annika Täuschel geschickt moderierte. Wie so oft bei Kritikergesprächen und auch in den meisten heutigen Rezensionen (mit einem nicht zu unterdrückenden Griff an die eigene Nase sei dies gestanden) ging es zunächst um die Szene der Oper und nicht um die Musik. Da wurde Gloger für seine erst dritte Opernregie mächtig abgewatscht. Ein paar hübsche Bilder war noch das Höchste an Lob, ansonsten wurde Rampentheater und einfallsloses Herumstehen attestiert. Dafür muss man nicht nach Bayreuth reisen. Dafür sollte auch nicht nach Bayreuth eingeladen werden, bliebe hinzuzufügen.

Musikalisch habe die „Diva Festspielhaus“, wie Christian Thielemann den akustisch nicht unproblematischen Theaterbau aus dem Jahre 1875 mal bezeichnete, durchaus einige Wackler provoziert, hat Eleonore Büning herausgehört und hielt so manchen Part – insbesondere die Titelfigur des Samuel Yuon – für „nicht holländerreif“. Allerdings sei Thielemann gerade mit den singspielhaften Momenten der Oper wesentlich klüger umgegangen als etwa der Regisseur. Eine Interpretation mehr für die Ohren als für die sonstigen Sinne?

Hans-Klaus Jungheinrich, der an gelungenere „Holländer“-Produktionen etwa von Harry Kupfer und Claus Guth erinnerte, hielt Michael König als Erik für eine „ganz gute Besetzung“, Franz-Josef Selig als Daland sei „stimmlich ausgezeichnet, aber im Spiel gehemmt“ gewesen. Da widersprach Meret Forster – Seligs Daland war wohl „ordentlich, aber nicht überragend“, vor allem mangelnde Textverständlichkeit kreidete sie ihm an. In diese – für Bayreuth gravierende! – Kerbe schlug auch Eleonore Büning und konstatierte: „Die Klamottenkiste ist jetzt leer.“