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Schicht um Schicht

Ein Präludium gabs vor dem eigentlichen Konzert – die Bühne gehörte dem Pianisten Christoph Berner (Foto: PR)

Viele Schichten Klangtapete waren am Samstagabend abzulösen, bis man zum musikalischen Kern des 9. Philharmonischen Konzerts vorstieß. Um Orchesterbearbeitungen aus fremder Hand ging es – ein rundheraus überzeugendes und ein handwerklich eher mittelmäßiges Beispiel präsentierte die Philharmonie unter der Leitung von Michael Sanderling vor und nach der zweiten Konzertpause des überlangen Abends. 

Der war an sich gut strukturiert: das "Präludium" bot der Pianist Christoph Berner solistisch dar, dann übernahm eine kleine Orchesterformation unter Leitung von Konzertmeister Wolfgang Hentrich; das Ensemble wuchs dann noch zwei Mal an, bis zum Schluß für Arnold Schönbergs Bearbeitung des g-Moll-Klavierquartetts von Johannes Brahms ein großes Sinfonieorchester mit drei Flöten, drei Oboen, Tuba und umfangreichem Schlagwerk auf der Bühne des Kulturpalastsaals Platz nahm. Hört man Schönbergs Übertragung, drängt sich ein altmodisches Bild auf: "wie mit dem Brennglas" erscheint der Brahms gelesen! Die einzelnen Themen werden durch die abwechslungsreiche, manchmal recht drastische Instrumentation ausgeleuchtet, bis die Partitur leicht zu qualmen anfängt. Die Musik gewinnt dadurch ungeheuer an Kontrast und Tiefenschärfe. 

Bis dahin war es aber auch ein mühseliger Anstieg. Die ersten zwei Konzertstunden drehten sich erstens um ein nach dem Vorbild der von Arcangelo Corelli geprägten Concerti grossi geschaffenes Konzert von Georg Friedrich Händel, das die Philharmoniker sehr überzeugend 'historisch informiert' präsentierten. Und zweitens die von Johannes Brahms komponierten fünfundzwanzig Variationen und eine Fuge über ein von Händel entlehntes Thema; zuerst in der originalen Klavierfassung und danach in einer Einrichtung für ein kleines Kammerorchester von Mark A. Popkin (1929-2011) aus den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts.

Popkins Orchestrierung ist dem Charakter des Brahmsschen Variationswerkes nicht völlig abträglich. Sehr viel enthusiastischer aber kann man seine Arbeit, die bereits fünfunddreißig Jahre nach ihrer Vollendung angejahrt wirkt, nicht bewerten. In Christoph Berners Lesart erschien das raumgreifende Werk, dessen komplizierte Verzierungen, rasche Oktavsprünge etc. dem Pianisten eine hohe technische Virtuosität abfordern, aus einem Guss zu sein. In der Popkin-Fassung jedoch wirkt das unermüdliche Befragen des simplen Händel-Themas mit der Zeit fade; wie ein Pädagoge, der mangels guter Argumente immer wieder auf Banalitäten herumreitet. "Kau das Schwarzbrot solange, bis es süß schmeckt," ermahnte man uns einst. Auf diesen Erweckungsmoment wartet der Rezipient hier wie da vergebens.

Eine Textfassung des Artikels ist am 25. Juni in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.