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Horror in Leuben

Natürlich ist das nicht jedermanns Sache, ins Theater zu gehen, um dort nassgespritzt zu werden. Aber es will ja auch nicht jeder Klopapier oder Konfetti durch den Saal werfen. Wer freilich derlei Gelüste verspürt und sie einmal ausleben mag, obendrein lautstark in die Szene blöken, sich mal eine Zeitung als Hut und mal ein Karnevalshäubchen aufsetzen will oder einfach nur nachfühlen möchte, wie es ist, kindlich vergnügt mit sogenannten Knicklichtern zu wedeln, der kann das alles gebündelt bei einem Besuch der „Rocky Horror Show“ in der Staatsoperette Dresden wahrnehmen. Dort hatte das Kult gewordene Musical am Wochenende Premiere, nach längerer Abstinenz ist das 1973 in London uraufgeführte Stück von Richard O'Brien nun wieder im Elbstädtchen zu sehen.

Als es entstand, waren Themen wie Travestie und sexuelle Freizügigkeit noch hitzig diskutierte Angelegenheiten. Auch Außerirdische waren und sind im Inselland, wo ja noch heute an Königinnen geglaubt wird, schon immer ein gefundenes Fressen, rein thematisch, versteht sich. Dieses britisch-biedere und der angloamerikanische Aufbrechen von Tabus wird in „Rocky Horror Show“ köstlich miteinander verbunden. Ein verklemmtes Pärchen, das Stereotypen à la Maggie Thatcher und Tony Blair vorempfunden gewesen sein könnte, erleidet bei Nacht und Naturgewalt eine Reifenpanne, landet bei der Suche nach einem Telefon ausgerechnet in einer Art von verwunschenem Schloss. Triebgeile Gäste vom Planeten Transsexual feiern dort eine Party und vor allem den Geburtstag von Rocky, einem prachtvoll bestückten Retorten-Boy, der vor allem Frank'n'Furter zu Diensten sein soll. So unfreiwillig das frisch verlobte Paar Zeuge dieser Parallelwelt wird, so rasch kommt es auf den Genuss, dass es im Leben noch mehr geben muss als Blümchensex und anglikanische Kirche.

An der Staatsoperette wird das alles in recht schmissigem Tempo auf die Bühne gesetzt. Regisseur Winfried Schneider erweist sich einmal mehr auch als Choreograf mit Sinn für den richtigen Schwung. Das Bühnenbild von Roy Spahn bietet ihm und dem mit einigen Gästen bereicherten Leubener Ensemble Raum zum Entfalten, die von Thorsten Fietze entworfenen Kostüme sind stilgerechte Hingucker und bedienen hinlänglich alle Klischees.

Mit Lars Redlich als immergeiler Intergalaktiker Frank steht eine Figur höchster Bühnenpräsenz zur Verfügung. Sein Adlatus Riff-Raff, der als beängstigender Glöckner-Verschnitt angelegt ist, legt den Chef letztlich aufs Kreuz, wobei ihm die ausstrahlungsstarke Fenke Soetenga als unwiderstehliche Magenta kräftig assistiert. Die ist schon als Platzanweiserin eine Granate, deren Kollegin Inka Lange protzt alternativ und als Columbia mit Power. Der potente Homunkulus Rocky wird von Oliver Arno in einer natürlichen Unschuld gegeben, dass es selbst Janet und Brad in ihrer züchtigen Unterwäsche heiß und kalt werden muss. Olivia Delauré und Marcus Günzel spielen die Verlobten sehr treffsicher und überzeugen vor allem in den exzentrischen Momenten als Spießer, die ewig Spießer bleiben und nur für den Moment so exzentrisch sind.

Der Sänger Falkenberg mimt des Meisters Ex Eddie, der einen Kopf kürzer gemacht wird, aber von Dr. Scott als UFO-Beauftragten gesucht wird. Im Dienste seiner Majestät kurvt Bryan Rothfuss im Rollstuhl über die Bühne und gibt dieser Partie britisch braune Würze, deren Nazitum erst im Netzstrumpf entlarvt wird.
Vital agieren der MusicalChorDresden und das Ballett der Staatsoperette, auch musikalisch wird unter Peter Christian Feigel eine Menge Esprit geboten – vom Keyboard aus hoch oben im Bühnenhintergrund leitet er die Gruppe NASH, von der genau jene Prise Siebziger-Stil abgesandt wird, wie sie O'Brian vorgeschwebt haben mag. Obwohl dieser schauspielernde Komponist und Texter einst in „Hair“ und „Jesus Christ Superstar“ mitgewirkt hat, sind ihm für die nur zwei Jahre später als Kult verfilmte „Rocky Horror Show“ kaum bleibende Ohrwürmer eingefallen. Der Sound stimmt zwar, doch von mitreißender Dauer ist da überhaupt nichts. Was allerdings niemanden stört, denn bei diesem Unterfangen geht es ganz offenbar nicht um die hohe Kunst, sondern um den momentanen Klamauk. Und dem geben sich alle Mitwirkenden sehr gekonnt hin.

Solch ein Spektakel braucht freilich einen Moderator, bodenständig souverän übernimmt Gerd Wiemer dessen Funktion und fordert das beständig „boring“ gegen ihn rufende Publikum noch mächtig heraus. Es ist jedoch nur scheinbar gelangweilt, sondern amüsiert sich prächtig. Da bleibt nur die Wahl zwischen Mitmachen, Aushalten und Leiden.

 

Termine: 26., 27., 29., 30.6.2012
www.staatsoperette-dresden.de