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„Wenn nicht mit Worten, dann mit Waffen!“

Um den einst mit Aufmärschen und Demonstrationen begangenen internationalen Kampftag der Arbeiterklasse, besonders in jenem Teil Deutschlands, in dem den Arbeitern das Recht auf Streik verwehrt war, ist es inzwischen gesamtdeutsch still geworden. Aber als es noch hieß, „Heraus zum 1. Mai“, da spielte die Musik dazu. Blaskapellen und Fanfarenzüge, gesungen wurde auch. In den größeren Städten waren es mitunter Opernregisseure, die das Geschehen in revolutionär choreografierte Bahnen lenkten.

Ein Opernregisseur aus dem Osten war es auch, der 150 Jahre nach ihrer Entstehung endlich die einzige Oper zur Uraufführung brachte, die mit einem Streik der Arbeiter beginnt. „Wir wollen nicht! So rühret keiner eine Hand! Arbeit! Lohn! Brot!…Und wird unser Preis nicht anerkannt, so rühret keiner eine Hand!“ Mehr noch, in die Musik der Ouvertüre krachten am 14. März 1998 Gewehrsalven. Dann hörte man einen Sprecher. Robert Blum wurde erschossen. Aus war der Traum vom Frühling des Jahres 1848, denn da begann der deutsche Komponist Albert Lortzing, der mit Blum befreundet war und dessen politische Ideen teilte, mit der Arbeit an seiner Oper „Regina“. Das Werk, in dem die Arbeiter später singend fordern werden, „..beschlossen ist, zu Ende sei die Tyrannei! Wir werden Recht uns jetzt verschaffen, wenn nicht mit Worten, dann mit Waffen!“, wurde damals natürlich nicht aufgeführt. Lortzing hat es nie erlebt. Der kurze deutsche Frühling war zu Ende, die Polizei hatte die Macht auf den Straßen und die Zensur in den Theatern.

Lortzing selbst gab die Hoffnung nicht auf, er sagte seine Regina warte auf bessere Zeiten. Sie sollte lange warten.
1899 kommt das Werk endlich zur Aufführung, in Berlin, an der Königlichen Oper. Aber aus der romantisch-politischen Freiheitsoper wurde eine Fälschung, aus „Heil Freiheit“ wird jetzt „Heil Blücher“, das Werk bekommt einen neuen Titel „Regina oder die Marodeure“.

Und später dann, in der DDR, im Arbeiter und Bauern Staat? Da nahm sich Wilhelm Neef des Werkes an, der Filmkomponist der DEFA („Ernst Thälmann“, „Schlösser und Katen“, „Das Lied der Matrosen“..) und gab dem Text zeitbedingten, klassenkämpferischen Schliff. Er schuf seine Bearbeitung für eine Produktion des Berliner Rundfunks 1951, und diese wurde dann zur Uraufführung der Originalfassung erklärt. Bei „Walhall“, dem Speziallabel für historische Aufnahmen, ist diese Rundfunkproduktion 2004 erschienen. Der Dirigent ist Walter Schartner, für kurze Zeit, gleich nach dem Krieg, war er Rektor der Musikhochschule in Dresden und Dirigent der Philharmonie. Unter den Sängern finde ich einige wieder, die ich noch erlebt habe an der Staatsoper Unter den Linden, Irmgard Klein, Ernst Kozub oder Gerhard Frei. Der Tenor Ernst Kozub dürfte der Bekannteste sein, 1951 hatte er gerade sein Studium in Weimar beendet, aus dem Spieltenor wird sich eine Heldenstimme entwickeln, so kommt er um die Welt und als Walther von Stolzig 1970 sogar auf den Bayreuther Hügel.

Gedanklich und politisch ist der Weg von Wagner zu Lortzing nicht weit. Und es war dann auch ein Regisseur, dem man schon etliche Einsichten im Hinblick auf Wagners Werke verdankte, von dem man eigentlich gar nicht annahm, dass er sich mit dem deutschen „Spielopernweltmeister“ (Jürgen Lodemann) Albert Lortzing befassen würde, dem die Musikwelt die wahre Uraufführung der Oper „Regina“ verdankt. Die fand nun weder in Berlin, Leipzig oder Wien statt, auch nicht an einem 1. Mai, sondern, am 14. März 1998, im Musiktheater des Schillertheaters NRW in Gelsenkirchen. Holk Freytag war damals dort Intendant. Der Regisseur war Peter Konwitschny. Alles klar, so kommt der Schuss in die Ouvertüre, so kommt die Stimme des Kommentators dazu, und so kommt das Werk endlich unverfälscht zu seinen Ehren. Unverfälscht hieß für Konwitschny auch, dass dem Komponisten und Menschen Albert Lortzing tiefster Respekt gebühre und seiner Oper „eine wahrhaftige Darstellung“.

Klaus Umbach („Die Geldscheinsonate“) sprach damals im "Spiegel" davon, Konwitschny biete mit „Ballermännern, bürgerlichem Schmus, einem Schuß Satire“, viele böse Einblicke in die Kinderstube der deutschen Demokratie. Umbach zitiert den Musikologen Robert Didion und dessen Bonmot, dass „Regina“ echt Lortzing sei, und dazu passten eben „Muskete und Häkeldeckchen“. Kein Geringerer als der Lortzing-Spezialist Jürgen Lodemann, dem wir die grandiose Biografie „Lortzing, Gaukler und Musiker“ verdanken, war der wissenschaftliche Mitarbeiter der Gelsenkirchener Inszenierung. Für ihn war Lortzing der „Urvater der Sozi-Oper“. Also Lortzing hören, Lodemann lesen, passt doch zum 1. Mai des Jahres 2012 in Dresden!

Herzlich, bis Montag,
Boris Gruhl