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Seelenkraft auf CD

Mirjana Rajić (Foto: PR)

Sanft, zärtlich und seelenvoll sanft hebt sie an. Feingliedrig werden die Sechs Bagatellen op. 126 von Ludwig van Beethoven angetippt, eine beinah romantische Einstimmung im Andante con moto. Doch gleich nach dem federflaumigen Einstieg perlt es, dann wird streichelnd eingebremst – hier will, hier muss man weiterhören und den lärmenden Alltag erst einmal aussperren. Schon das folgende Allegro zeugt von selbstbewusstem Auftritt, von charismatischem Anschlag und virtuosem Können. Wo eben noch ein Tupfen mitschwang, reißt jetzt ein strudelndes Hämmern, wie in einen Abgrund hinein. Die Oberstimme verhindert den Absturz. Leichte Tempoverschiebungen gehen ans Herz, sorgen für hörendes Mit-Atmen. Dem gravitätisch ausschreitenden Andante, dem ein klug nachdenkliches Saitengleiten innewohnt, folgt mit einem typischen Presto das tönende Abbild des unangepassten Querulanten, der Beethoven ja auch gewesen ist. Dieser Satz wird hier so gespielt, als spreche der Tonschöpfer persönlich. Er schrieb diese Bagatellen nur wenige Jahre vor seinem Tod, sie klingen nun beinahe wie ein Resümee, das alles Unrecht im Leben beklagt, aber nie larmoyant jammert. Quasi allegretto setzt dieses Selbstbespiegeln fort, plötzlich mit Punktierungen, die ein Lächeln hervorzaubern, als könne aus Altersweisheit jede Jugendsünde und alle Lebensqual geradezu wettgemacht werden. Das abschließende Presto startet fulminant los, als würde alle Wut auf die Vergänglichkeit gebündelt abgefeuert – und mündet doch liebevoll in einer Bewegtheit, die ganz offenbar nichts von all dem Gewesenen missen möchte. Um freilich im Schlusstakt noch einmal furios aufzufahren: Vorbei ist vorbei!

Wer interpretiert diese pianistischen Klanglandschaften nur so biografisch korrekt, so hingebungsvoll verneigend vor ihren schöpferischen Umständen? Die in Dresden lebende Pianistin Mirjana Rajic ist es, die dieses besondere Album eingespielt hat. Schon ihr Absolventen-Abend an der Musikhochschule Carl Maria von Weber, wo die 1978 in Belgrad geborene Künstlerin einst studierte und nunmehr als Pädagogin tätig ist, hatte ein bezwingendes Abbild dieser Programmfolge geliefert (Musik in Dresden, Konzertkritik vom 3. Dezember 2011). Ludwig van Beethoven, Franz Liszt und dann noch Sergej Prokofjew, das muss man erst mal in ein Konzept bringen, das funktioniert und auf die Hörerschaft überspringt.
Doch wie im Konzert, so scheint auch auf dieser CD das kontrastreiche Programm sehr gut zu korrespondieren. Allenfalls hätte man sich zwischen Beethoven und Liszt sowie zwischen Liszt und Prokofjew ein klein wenig abstandsvollere Pausen wünschen können. Doch das ist nur marginal. Denn ansonsten ist diese Hochschul-CD auch technisch auf bestem Niveau.

Spielerisch sowieso. Bei den drei Charakterstücken „Venezia e Napoli“ aus dem umfangreichen Sammelband der „Pilgerjahre“ („Années des pèlerinage“) wird ganz aus dem Geist der Vorlage heraus musiziert. Ein virtuoses Perlen – wie mögen die Finger das machen? Sie scheinen der verlängerte Ausdruck musikalischer Einverleibung und mitfühlenden Atmens zu sein. Als schwebten sie über den Tasten und verstünden sich doch ganz und gar dem kompositorischen Duktus geweiht. Ob seicht melancholisches Schweben im Gondellied, ob aufbrausend bestimmt in der Canzone (wo sehr deutlich zwischen liedhafter Stimmführung und chorischer Begleitstruktur unterschieden wird), oder ob im napolitanischen Prestissimo, das geradezu beängstigend schnell angegangen wird und eine psychologische Intensität verströmt, die raffinierteste Fontänen ausströmen lässt. Hier zeugt Mirjana Rajics Wechselspiel aus energischem Furore und tief verinnerlichtem Gefühl vom Verständnis für die exzentrische Vorlage.

Plötzlich steht man beim Nachhören vor der schwierigen Frage, was denn nun mehr Respekt abnötigt – das hörbare Wissen der Interpretin um den werkimmanenten Geist oder die sprachlos machende technische Könnerschaft?

Sergej Prokofjews Klaviersonate Nr. 8 op. 84 in B-Dur macht eine Antwort darauf auch nicht leichter. Sehr wahrscheinlich bedingen sich interpretatorische Perfektion und geistiges Durchdringen (das auch in der Zurücknahme besteht) gegenseitig. Mirjana Rajic betreibt in keinem Moment eine Selbstdarstellung ihres unglaublichen Vermögens; sie geht die intensiven Passagen intensiv an, in inbrünstigen Momenten wird sie inbrünstig, wo strukturelle Klarheit gefordert ist, da spielt sie glasklar.

In jedem Ton, bis zum letzten Akkord eine atemraubende Einspielung.
 

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