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Wenn Gattinnen singen

Die „Linie 8“ fährt weiter. Sie hält am Festspielhaus in Hellerau, sie verbindet die Stadt mit dem grünen Hügel der Moderne. Die Dresdner Tänzerin Valentina Cabro hatte die Idee in den Straßenbahnen, die nach Hellerau fahren, zu tanzen, tänzerische Aktionen und Performances zu initiieren. Die sympathische Idee, in öffentlichen Verkehrsmitteln zu tanzen ließ sich nicht verwirklichen. Ich finde das schade. Aber ich fahre gut mit der Linie 8 nach Hellerau; meistens lohnt die Fahrt, denn das Programm internationaler Gastspiele der Tanzszene hat ganz schön an Fahrt gewonnen, seit Carmen Mehnert und Dieter Jaenicke dafür verantwortlich sind.

So ganz verloren ging die Idee von Valentina Cabro jedoch nicht. Mehrmals wurde im letzen Jahr zu einer Veranstaltungsreihe nach Hellerau eingeladen, die unter dem Titel „Linie 8“ schnell zum Begriff geworden ist. Zu später Stunde an den Wochenenden gab es Tanz und Tanzverwandtes, mehr oder weniger experimentell, eigentlich, so oft ich dabei war, originell, mitunter auch verblüffend gut. Junge Künstlerinnen und Künstler, vornehmlich aus Dresden, präsentierten Choreografien, Projekte, Installationen mit und ohne Video, Musik und Soundcollagen oder von allem etwas, selten heiter. Im freien Tanz gibt´s nichts zum Lachen, wahrscheinlich weil die freien Tänzerinnen und Tänzer angesichts der wenigen Fördermittel die ihnen zur Verfügung gestellt werden können, nichts zu lachen haben.

Gute Nachricht zum noch immer neuen Jahr: Die Linie 8 fährt weiter. Denn, so Carmen Mehnert, verantwortlich für Performing Arts im Europäischen Zentrum der Künste, es „war ein schöner Erfolg, für HELLERAU, aber auch für die Dresdner Tanzszene. Deswegen sind wir in die zweite Staffel gegangen.“ Für Carmen Mehnert gibt die Line 8 einen Ausblick auf das, was man in Hellerau sein will, „ein Ort, an dem Stücke erarbeitet werden, eine Werkstatt auch für Tanz. Die Bedingungen dafür werden noch besser, wenn endlich die Kaserne Ost saniert wird und umso mehr Probenräume entstehen.“ Mit „Kopfkino“ von Irene Schröder und Wolfgang Kurtz sowie dem interaktiven Tanzspiel „Memory“ der carrot dancers startet am 28. und 29. Januar die Linie 8 ins zweite Jahr. Im Februar geht’s weiter mit Arbeiten von Robin Jung und Sarah Elizabeth Lewis, Rebekka Böhme, Miriam Welk.

Neue dunkle Wolken am Finanzierungshimmel: diesmal soll beim Zittauer Schauspielensemble gekürzt werden. Ein kulturpolitisches Wunder bedeutet da für mich, dass die Sparte, die sonst immer zuerst abgewickelt wird, sogar eine kleine feine Aufwertung erhielt. Es gibt sie weiterhin, die Tanzcompany Görlitz, nach fünf Jahren jetzt mit neuen Chefs. Das sind die Tänzer und Choreografen Dan Peleg aus Israel und Marko E. Weigert aus Deutschland. Beide kommen aus der freien Berliner Tanzszene und haben seit zehn Jahren die von ihnen gegründete wee dance company auch international bekannt gemacht. In Görlitz, wie in der jüngsten Premiere zu erleben, lassen sie sich nicht verführen, mit gefälligen Unterhaltungsproduktionen trügerische Erfolge einzuheimsen. Sie fordern die nunmehr zwölfköpfige Kompanie, in der beide als Choreografen und Tänzer auf der Bühne stehen, mit außergewöhnlichen Produktionen an Deutschlands östlichstem Musik- und Tanztheater. „Tanz. Ein Schauspiel“ & „Schwarz, ohne Zucker“ heißt der neue Doppelabend, der kann sich sehen lassen, insbesondere der zweite Teil muss den Vergleich mit Produktionen andernorts nicht scheuen.

800 Jahre sind eine lange Zeit. Seit 800 Jahren singen die Leipziger Thomaner zur Ehre Gottes. Dieses Jubiläum gilt es gebührend zu feiern. Anlass für einen Film, der über den Zeitraum eines Jahres den Chor begleitet und dabei unter anderem Momente des Anfangs und des Abschieds dokumentiert. Kinder werden in den Chor aufgenommen, junge Männer verlassen ihn. Was die Kinder im Chor mit seinen anachronistisch anmutenden Regeln des Internates erleben werden, wird sie prägen. Sie werden sich ein- und unterordnen, sonst ist es nicht möglich zu bestehen in diesem geschlossenen System mit 15 Minuten fürs Mittagessen, der „einzigartigen Welt zwischen Motette, Internat und Fußballplatz“, in der das Leben der derzeit 94 Jungs und jungen Männern, „geprägt ist von Erfolg und Leistungsdruck, Zweifel und Stolz, Heimweh und echter Freundschaft.“

Wenn sie den Chor verlassen, können sie nicht einfach hinter sich lassen, was sie in neun Jahren geprägt hat. Kritische Töne gibt es eigentlich nicht: „Thomasser“ sind einfach nur die Besten! Mit 113 Minuten finde ich „Die Thomaner – Herz und Mund und Tat und Leben“ von Paul Smaczny und Günter Atteln zu lang, zudem fehlt mir auch ein Blick in die Geschichte dieses Chores, vor allem in die Jüngste. Ab 16. Februar gibt’s den Film im Kino.

Nun noch eine CD, die ich empfehlen kann: Musik von Johann Adolph Hasse mit Arien aus „Didone abbandonata“, „La Gelosia“ und „Artaserse“. Sind schon diese musikalischen Kostbarkeiten besonders hörenswert, so erst recht in der Interpretation durch den gerade mal 25jährigen Countertenor Valer Barna-Sabadus mit der Hofkapelle München unter der Leitung von Michael Hofstetter. Sein Können gestattet dem Sänger Virtuosität ohne den Anschein zu erwecken, er stelle die technische Perfektion über die Emotion. Seine Koloraturfertigkeiten sind wahrhaft zum Staunen, mehr noch die Eleganz der Stimmführung, wodurch der Klang angenehm bleibt bis in höchste Passagen. Dramatik ohne unnötigen Dampf und zarte Schönheit ohne sentimentales Schmachten. Längst ist der in Rumänien geboren, in Deutschland aufgewachsene und in München bei Gabriele Fuchs ausgebildete Sänger international unterwegs, Festspiele, Konzerte, Opernproduktionen. Bevor er im März an der Opera Royal der Versailles auftreten wird macht er Station in Dresden. An der Semperoper gibt er am 4. März als Liscione sein Debüt in dem Intermezzo „La Dirindina“, „Die Dilletanten-Diva“. Im Jahresalmanach der Semperoper ist da noch der Name einer Sängerin aus dem Ensemble angegeben.

Das kann passieren, und deswegen wird man hier keinen Ombudsmann bezahlen müssen wie jetzt am Staatstheater Darmstadt, wo Besetzungsquerelen zu einer Farce geführt haben, die eigentlich bühnenreif ist und letztlich höchst ministeriell beendet werden musste. Der Darmstädter Intendant wollte nicht, dass die Gattin des Generalmusikdirektors singt. Dieser wiederum wollte nicht, dass der Gatte des Intendanten singt. Schluss mit den Beziehungskisten heißt es jetzt am Staatstheater Darmstadt. Erst mal keine Gäste nach persönlichem Gusto, Besetzungen von Partnern der Chefs sind gleich ganz verboten. Das kann in Dresden glücklicherweise nicht passieren: Es gibt keinen Generalmusikdirektor, und die Intendantin ist mit einem Mediziner verheiratet. Der Freistaat spart Geld und die Presse Schlagzeilen, denn an der Semperoper werden Besetzungsangelegenheiten rein künstlerisch geregelt. Wie genau? Dazu hat Operndirektor Eytan Pessen »Musik in Dresden« ein Interview gegeben, das diese Woche erscheinen wird.

Herzlich, bis Montag, Boris Gruhl