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Strahlende Klänge

Dass die deutsch-japanische Freundschaft 2011 offiziell seit 150 Jahren besteht und seitdem in unterschiedlicher Weise gepflegt wird, findet aufgrund der aktuellen Nachrichtenlage aus Japan kaum eine Erwähnung. Im Januar 1861 wurde der „Freundschafts-, Schifffahrts- und Handelsvertrag zwischen Preußen und Japan“ unterzeichnet, auf den dieses Jubiläum zurückgeht. Es könnte Anlass für bilaterale Feierlichkeiten sein. Könnte, wenn da nicht am 11. März 2011 ein Erdbeben jenen Tsunami ausgelöst hätte, der Hunderte von Kilometern japanischer Küstenregion zerstörte, zahllosen Menschen das Leben nahm und in mehreren Atomkraftwerken für Ausfälle mit nach wie vor unabsehbaren Konsequenzen gesorgt hatte. Fukushima beherrschte eine Zeitlang die Nachrichten und regte nicht zuletzt Politiker in Deutschland zum Nachdenken an. Die sogenannte Energie-Wende ist eine Folge davon.

Die neue Besetzung des Quartetts: Stefan Arzberger, Tilman Büning, Ivo Bauer, Matthias Moosdorf (Foto: PR)

Über andere Konsequenzen wird kaum geredet. Dass Reisen und Exporte storniert werden, nun ja. Dass Fukushima bei besonders hellen Zeitgenossen – beziehungsweise zumindest bei einer Grünen-Zeitgenossin aus Sachsen, die sich im Zusammenhang mit einer fragwürdigen Bespitzelungsaktion in Sachsen zur Formulierung „Handy-Fukushima“ verstieg – zum „geflügelten Wort“ wird (Motto: Wer nichts zu sagen hat, braucht wenigstens eine Schlagzeile), dagegen kann niemand was tun. Geistige Horizonte sind halt so leicht zu unterwandern …

Ob aber Musiker, Chöre und Orchester jetzt nach Japan und insbesondere in diese geschädigte Region reisen sollen, das wird schon mal heftig debattiert. Die Dresdner Philharmonie hat kürzlich mit Billigung ihres Dienstherren eine Fernost-Tournee abgesagt, in München musste die Intendanz der Bayerischen Staatsoper ihrem Personal freistellen, die Teilnahme an einem geplanten Japan-Gastspiel oder unbezahlten Urlaub zu wählen. In Zeitungsberichten war die Rede von derzeit etwa 70 Prozent Absagen aller internationalen Pläne, das Land der aufgehenden Sonne zu bespielen.

In diesem unabgesprochenen Komplott hat sich nun das Leipziger Streichquartett gegen den Strom gestellt und die seit Jahren bestehenden Kontakte zu Japan ostentativ ausgebaut. Eines der besten europäischen Kammerensembles, deren Mitglieder japanische Studenten regelmäßig in Kammermusik unterweisen, geht also im Sommer 2011 nach Sendai, in die Präfektur Fukushima sowie auch nach Tokio. Es musiziert vor Überlebenden, die allesamt Betroffene sind und solche Gesten, die Botschaft der Musik, dringend nötig haben. Es konstatiert, so weit es unter diesen Umständen eben möglich ist, den Zustand des Landes, der Landschaft, vor allem aber der Menschen in den Katastrophengebieten. Die Geiger Stefan Arzberger und Tilman Büning sowie der Bratscher Ivo Bauer und der Cellist Matthias Moosdorf, seit 2009 ausgestattet mit einer Gastprofessur an der Tokyo University of Art (Geidai), sie haben sich freilich nicht abenteuerlustig und blauäugig auf ein Wagnis eingelassen, sondern vorab gründlich informiert. Mit dem Schluss, dass die Radioaktivität mitunter unter dem in deutschen Städten täglich tolerierten Maß liege. Wichtig sei, den Menschen, die durch den Tsunami Hab und Gut sowie oft auch ihre nächsten Anverwandten verloren haben, Mut zu machen. Ihnen solle mit der Kraft der Musik ein Gefühl der Solidarität vermittelt werden, bekräftigen die Leipziger Künstler, die im Internet ausführlich, faktisch und ergreifend von ihrer Tour berichteten (http://www.leipzigquartet.wordpress.com/feed). Lesenswert!

Was Politikergeschwätz nicht vermag, die Musik von Beethoven, Dvorák, Haydn und Mendelssohn hat es geschafft: Menschen Trost und Zuversicht zu geben. Da bekommt das Wort vom strahlenden Klang einen ganz anderen Sinn.