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Häppchenkost

Gebührenzahler kennen es von ihrem Klassikprogramm: Einem Vivaldi-Zitat, meist ein fesch hingeschmetteter Satz aus den „Vier Jahreszeiten“, folgt – die Moderatorin säuselt: „Da wir eben in Italien sind …“ – „O sole mio“ oder zumindest etwas von Verdi, Puccini und/oder Paolo Conte.

Erfolgsverwöhnte Solisten setzen da in jüngster Zeit noch eins drauf und präsentieren ihre „Best of“-Alben. Darauf reiht sich dann Schmeckerchen an Schmäckerchen, hier ein Bach und da was von den Beatles. Puristen wenden sich höchst indigniert ab. Gebührenzahler können nix machen, sie werden staatlich abgezockt, CD-Käufer haben immerhin noch die Wahl der Qual und entscheiden selbst über den Digital-Masochismus. Wer würde freiwillig zu Silberlingen greifen, auf denen Häppchenkost feilgeboten wird – ein Satz Tschaikowski etwa, bruchstückhaft was von Chopin, Liszt, Schubert und Schumann sowie Bach und Beethoven, dazu Auszüge von Rachmaninoff, César Franck, Saint-Saëns und Prokofieff (sic!) –, wenn nicht, ja, wenn nicht auch Vorurteile ihre Tücken haben. Hier lautet die Devise: Solch ein Konglomerat wird nur auf den Markt geworfen, um entweder die Kundschaft für Gesamtausgaben anzufüttern oder weil es um wahre Referenzaufnahmen geht. In letzterem Fall wäre es tatsächlich hörenswert.

Was der 1948 in Riga geborene Cellist Mischa Maisky kürzlich zum 70. Geburtstag seiner Künstler-Kollegin Martha Argerich herausgebracht hat, ist genau so ein Hybrid aus exzellenter Darbietung und impertinentem Zitaten-Aufschnitt. Eine Doppel-CD zum 70. Geburtstag der in Buenos Aires geborenen Ausnahme-Pianistin wird gerne gepresst, gerne gekauft und gerne(!?) gehört?! Vermutlich klang so etwa die Intention der Herausgeber – das von der Deutschen Grammophon abgenickte Ergebnis freilich verblüfft. Hier und da Ausschnitte der wirklich großartigen Interpretationskunst von Martha Argerich, zwischendurch immer mal Kostproben von Mstislav Rostropovich beziehungsweise Gidon Kremer beziehungsweise Mischa Maisky beziehungsweise Nelson Freire. Frei nach dem Muster, was die Archive so hergeben.

Weitere Mitwirkende sind die Berliner Philharmoniker und das London Symphony Orchestra unter Claudio Abbado, das Radio-Sinfonieorchester Berlin unter Riccardo Chailly sowie das Orpheus Chamber Orchestra, ein National Symphony Orchestra und ein Philharmonia Orchestra. Über letzte beiden Klangkörper hätte man doch zu gern genauere Auskunft erhalten. Und sowieso würde man die 1. Klavierkonzerte von Liszt und Tschaikowski sowie die 3. von Prokofiew und Rachmaninow gerne vollständig hören. Ein Wechsel von Franck zu Chopin, von Saint-Saëns zu Bach ist Regen und Traufe in einem. Und das, obwohl die Argerich brillant ist bis ins Detail, obwohl Maisky wunderbar auf seinem Instrument singt, obwohl sich die Begleiter keinen Patzer leisten, obwohl sogar das schmale Booklet mit den Texten Jürgen Ottens äußerst lesenswert ist.

Was also bringt eine solche Doppel-CD? Den Beweis, dass Martha Argerich eine grandiose Virtuosin ist, die nicht nur unterschiedlichste technische Herausforderungen bewältigt, sondern auch interpretatorisch klug mit diverser Stilistik umzugehen versteht? Wer hätte das nicht schon vorher gewusst …

My dearest Martha – eine persönliche Auswahl von Mischa Maisky
Deutsche Grammophon 480 5141 (2 CD, insg. ca. 150 Minuten)